02.06.2020

Rot oder schwarz. 60er oder Bayern. Dortmund oder Schalke. In manchen Lebensbereichen sind die Dinge klar geregelt. Kein vielleicht, kein so aber auch so. Mit den Untiefen der Differenzierung muss sich niemand behängen. Leider ist es im Leben nicht immer so. Das Editorial der Ausgabe KÜCHENPLANER 5/6 2020.

Dirk Biermann, Chefredakteur KÜCHENPLANER online/offline.

Corona, Corona, Corona! Steht Ihnen das Thema auch bis zum Hals? Dann geht es Ihnen wohl wie den meisten von uns. Eigentlich wollte auch ich an dieser Stelle ein anderes Thema beleuchten. Und nichts sagen zu Corona. Dass dies ein naiver Wunsch ist, wurde schon klar, während er sich formierte. Wahrscheinlich resultierte er aus einer psychologisch nachvollziehbaren Themenverdrossenheit. Ein weitverbreitetes Phänomen in diesen Tagen.
Natürlich muss es aktuell um Corona gehen. Gerade jetzt. Denn nachdem der erste Schock überwunden ist, zeigt sich erst die ganze Brisanz der Situation. Es erinnert mich an Monopoly. Wir haben die Corona-Karte gezogen und mussten zurück auf Los. Jetzt sind wir aufgefordert, das Beste daraus zu machen. Nur dass dies kein launiges Gesellschaftsspiel ist.

Inzwischen wissen wir: Das dauerhafte Leben mit Corona ist ungewiss und anstrengend. Wir wünschen uns, dass uns jemand den Ausweg aus der Lage weist, doch einen Masterplan hat niemand in der Tasche. Nach einer ersten Welle der breiten Solidarität beginnt sich die Gesellschaft zu teilen. An den Polen in jene, die das alles nicht wahrhaben und einfach „durch“ wollen, zurück zum Gewohnten. Und in jene, die wie traumatisiert nur mit Mund-Nasen-Schutz und Einweghandschuhen sein können, selbst wenn sie allein im Auto unterwegs sind.

Verzweiflung oder Ignoranz. Beides ist mir zu extrem. Es gilt einen flexiblen Umgang mit der Situation zu finden. Das erfordert eine innere Haltung. Vielleicht sogar eine die sich traut, diese Krise auch als Krise wahrzunehmen, anstatt sie mit vorauseilendem Optimismus ausschließlich als Chance sehen zu wollen. Denn zunächst ist Corona keine Chance, sondern ein „grimmiges Geschehen“, wie der Zukunftsforscher Matthias Horx in seinem neuen Buch „Die Zukunft nach Corona“ treffend beschreibt. „Menschen sterben, geraten in große Not, Verzweiflung und Ängste breiten sich aus, Existenzen geraten ins Schlingern...“, schreibt Horx. All das sei ganz und gar nicht Chance. Eine Chance wird eine Krise erst, wenn wir den Wandel, der mit ihr einhergeht, akzeptieren und beginnen ihn zu gestalten.

Ein Bewusstsein für eine persönliche innere Haltung einzunehmen, könnte im Moment also nützen. Mein persönlicher Plan lautet so: Ich werde mich unter Vorbehalt meines hoffentlich gesunden Menschenverstandes an das halten, was mehrheitlich als sinnvoll erachtet wird. Ich werde bis auf Weiteres wo vorgeschrieben einen Mund-Nasenschutz tragen, ich werde in die Armbeuge niesen, mir regelmäßig und gründlich die Hände waschen und mich in der nächsten Erkältungssaison nicht ins Büro schleppen, obwohl ich vor lauter Husten, Naselaufen und Atemnot kaum weiter weiß. Kurz, ich werde die Wichtigkeit meiner Person ein Stück hintenanstellen und etwas zur Atmosphäre einer unaufgeregten Solidarität beitragen. Ich werde auch nie wieder jemand anniesen oder anspucken, weder auf offener Straße noch daheim. Das habe ich bislang ohnehin selten gemacht, aber jetzt ist damit konsequent Schluss. Ich schwöre.

Was ich aber nicht tun werde, wogegen ich mich sträube, auf die Barrikaden gehe, protestiere und einfach nicht bereit bin es zu tun, ist, einen anderen Menschen pauschal als Feind zu betrachten. Nicht mehr den Menschen hinter der Maske wahrzunehmen, sondern ihn auf seine mögliche Funktion als Virenschleuder zu reduzieren. Womöglich noch todbringend.

Schutz ja, Vorsorge ja, Abstand ja, Aufmerksamkeit ja, übertriebene Ängstlichkeit: auf gar keinen Fall. In einer Welt, in der ich kaninchengleich durchs Leben huschen müsste, weil ich hinter jedem Busch eine Gefahr wähne, möchte ich nicht leben. Kaninchen haben wegen ihrer ständigen Ängstlichkeit mein ehrliches Mitgefühl. Ich bin keins. Das Gegenteil wird mir auch niemand einreden können: weder Verschwörungstheoretiker noch Schwarzweißmaler.

Dirk Biermann


Dieser Text erscheint als Editorial der Ausgabe KÜCHENPLANER 5/6 2020. Das gedruckte Heft erscheint am 12. Juni, das E-Paper einige Tage zuvor.

 

„Die Zukunft nach Corona“ von Matthias Horx ist Ende Mai im Econ Verlag erschienen.

https://www.kuechenplaner-magazin.de/themen/detail/news/die-zukunft-nach-corona/