02.11.2023

Es ist kein Designhappening wie in Mailand, hat nicht das Flair von Paris und nicht annähernd so viele bunte Lichter wie Las Vegas – doch in Ostwestfalen schlägt das Herz der Küche wie in keiner zweiten Region weltweit.

Wer Küche meint, denkt heutzutage fast immer das Wohnen mit. Vitrinen spielen als Vermittler zwischen den Bereichen weiterhin eine große Rolle. Diese stimmungsvolle Impression stammt aus dem Nolte Forum. Die Alu-Rahmentür schimmert im neuen Farbton „Manganbronze“. Foto: Biermann

Die Küchenmeile ist für immer mehr Fachleute der Branche die wichtigste Küchenmesse der Welt. Im Mittelpunkt stehen aus historischer Sicht die Ausstellungen der Küchenmöbelhersteller. Die Veranstaltung darauf zu reduzieren, wird ihr aber nicht gerecht. Die KM Küchenmeile ohne area30, house4kitchen, Architekturwerkstatt, KCL, IDF34 und Gut Böckel (und aktuell mit Abstrichen Forum26) würde enorm an Bedeutung verlieren. Womit die besonderen Herausforderungen benannt sind: Mehr als 30, über die Region verstreute Ausstellungsorte buhlen um die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher. Wer so viel sehen will wie möglich, braucht Zeit, ein gutes Zeitmanagement, eine funktionierende Navigation und gutes Orientierungsvermögen. Hinsichtlich der Reiseroute und dem jeweiligen Aufenthaltsort.

Habe ich das nicht schon mal gesehen?
„Bei wem bin ich eigentlich gerade und warum?“ Natürlich überspitzt formuliert, aber ein Gedanke wie dieser könnte in unkonzentrierten Momenten (und nach mehreren Ausstellungsbesuchen in rascher Folge) schon aufblitzen. Verbunden mit der inneren Frage, ob es sich beim Blick auf diese supermatt lackierte Möbelfront mit Anti-Fingerprint-Beschichtung oder dieser falschen Rillenfront um ein Déjà-vu handelt. Also um eine Erinnerungstäuschung, bei der ein gegenwärtiges Ereignis als früher schon einmal erlebt wahrgenommen wird. Denn zu den vielen Charaktereigenschaften der Küchenmeile gehört auch, dass sich manche Ausstellung in Teilen im Allerlei der fast identischen Angebote verliert und kaum ein eigenständiges Gesicht zu zeigen vermag. Was angesichts identischer Zulieferer nicht wundert. Und genau zu schauen, was die Nachbarn machen und dem gleichzuziehen, hat in der deutschen Küchenmöbelindustrie Tradition.
Das kann im direkten Vergleich eintönig wirken. Aber ist das ein Manko? Schließlich hat jeder Hersteller seinen eigenen Kundenkreis und die Partner im Fachhandel und auf der Großfläche erwarten ein zeitgemäßes und gut verkaufbares Produkt. Eine Portion Mainstream gehört zum Küchenkauf einfach dazu. Wenn das Angebot allerdings darin stecken bleibt, wird es langweilig und austauschbar.

Zwischen Visionskraft und Vermarktungsfähigkeit
So beschreitet die Küchenmeile stets den Grat zwischen Visionskraft und Vermarktungsfähigkeit. Das dargebotene Neuheitenpotenzial schwankt zwischen am Lifestyle orientiertem Innenausbau und preissensiblem Küchenverkauf. Inspiration kann jedoch in jede Preisgruppe fließen. Und so bieten die meisten Ausstellungen der Küchenmöbelhersteller längst weit mehr als den Blick auf Farben, Fronten und Dekore. Sie zeigen immer wieder anders und immer wieder neu, wie sich das Angebot im Handel darstellen und emotional inszenieren lässt. Von der Ausstellungsgestaltung der Profis lässt sich viel abschauen.

Die Themen der Küchenmeile 2023
Doch welche Themen prägten die Küchenmeile 2023? Übergreifend betrachtet sicher die weitere Stärkung des Messestandorts Ostwestfalen durch die neuen Präsenzen von Bora und Siemens. Auffallend war zudem, dass viele Hersteller ihren Fokus auf die unteren Preisgruppen richten oder mit individuellen Instrumenten versuchen, die zuletzt rasant gestiegenen Preise einzufangen. Bezogen auf das Produkt kam auf der Küchenmeile niemand an der Gerätebreite 70 cm (u.a. fürs XL-Kühlen) und entsprechende Schranktypen in 75 cm vorbei. Allgegenwärtig waren matte Oberflächen mit Anti-Fingerprint-Eigenschaften, Mattlackfronten (für den Preiseinstieg) und die Rillenoptik (furniert oder als preisgünstige Nachbildung). Dazu kamen Frontverlängerungen über den Korpus hinaus, viele Braun- und Beigetöne und andere erdige oder metallisch schimmernde Farben sowie eine Durchgängigkeit bei Farben, Materialien und Planungsoptionen, mit der sich Küchen stilübergreifend noch wohnlicher und optisch ruhiger planen lassen. Denn darauf kommt es an.

In der heute veröffentlichten Ausgabe KÜCHENPLANER 10/11 2023 haben wir Beobachtungen zusammengestellt, was die Branche in den nächsten Monaten begleiten wird – und jenseits schnelllebiger modischer Strömungen vielleicht sogar darüber hinaus. Das können auch organische Formen sein, die aus dem Wohndesign kommend mit interessanten Neuheiten die Küche erreicht haben.

Dirk Biermann