29.04.2022

Der Lauf: butterweich. Der Einzug: wie von Geisterhand. Im Möbel ist dieser Komfort längst Standard. In so manchem Gerät klappert und scheppert es hingegen immer noch. Das geht auch besser, meint Hettich und transferiert den Möbelkomfort immer öfter in Backöfen, Kühlgeräte und Spülmaschinen.

„Wir übertragen die Komfortaspekte des Möbels aufs Gerät.“ Ann-Christin Deutsch, Hettich Marketing. Foto: Biermann

Bis zu 500°C hitzestabil: die speziellen „Quadro“-Auszugführungen für Pyrolyse-Backöfen. Foto: Biermann

Für Kühlgeräte: Das speziell entwickelte Mehrgelenkscharnier „K08“ und darüber angebracht das Führungsscharnier „Kamat“ (einzusetzen beim Einsatz von schrankhohen Möbelfronten). Foto: Biermann

„Quadro Compact“: Auf den Auszugschienen laufen die Gemüse-Frischeboxen besonders leicht und sicher. Bei Bedarf lassen sich die Behälter einfach entnehmen. Foto: Biermann

Bei der anspruchsvollen Weinlagerung sind qualitativ hochwertige Auszüge ein Muss. Denn je edler der Tropfen, desto weniger Erschütterungen akzeptieren die Nutzer. Die Schienen selbst lassen sich in moderner dunkler Optik gestalten. Foto: Biermann

Zusammengefasst sind bei Hettich die Aktivitäten rund um die Bestückung von Hausgeräten mit komfortabler Scharnier- und Auszugtechnologie unter der Bezeichnung „White Goods“. Mit einer Separierung in die Produktbereiche „hot“, „wet“ und „cold“. Also Hitze, Nässe, Kälte. Womit die besonderen Herausforderungen für die Produktentwicklung bereits skizziert sind. Denn während sich die Technik im Biotop eines Holzkorpus‘ ganz auf die Kernkompetenzen Laufeigenschaften und Einzugsverhalten konzentrieren kann, was schon Anspruch genug ist, herrschen in Backöfen, Kühlschränken, Gefriergeräten und Geschirrspülmaschinen ungleich härtere Bedingungen. Allen voran geht es je nach Einsatzbereich um eine weitgehende Resistenz gegen Feuchte, Kühle und Hitze. Damit allein sei es aber nicht getan, erläutert Ann-Christin Deutsch aus dem Hettich-Marketing, und dort für die „White Goods“ zuständig. Als Beispiel demonstriert sie die Auszugführung „Quadro Compact“ sowie das Mehrgelenkscharnier „K08“ für Kühl- und Gefriergeräte. Das „K08“ muss in aufwendigen Testreihen Kälteverträglichkeit beweisen. Natürlich. Und zusätzlich eine besondere Tragkraft und Lebensdauer. Denn die Front eines Einbaukühlgeräts bringt deutlich mehr Kilos auf die Waage als eine gewöhnliche Küchen- oder Möbelfront und wird zudem viel häufiger am Tag geöffnet und wieder geschlossen.
Das „K08“ mit „Silent System“ (Dämpfung) ist ein Mehrgelenkscharnier und besteht aus vielen Einzelteilen. Teilweise in Miniaturabmessungen. Kombiniert wird es im Geräteeinbau beim Einsatz von schrankhohen Möbelfronten mit dem Führungsscharnier „Kamat“ und bei grifflosen Fronten zusätzlich mit der elektromechanischen Öffnungsunterstützung „Easys“. „Dabei muss alles ineinanderlaufen wie bei einem Uhrwerk“, sagt Ann-Christin Deutsch und meint dabei das „K08“ für sich allein betrachtet wie auch das Zusammenspiel mit dem Führungsscharnier und gegebenenfalls der Öffnungsunterstützung. Denn in Summe zählt für die Kunden die optimale Funktion. Der Weg dorthin ist Sache des Herstellers. Was auch für noch gewichtigere Anwendungen gelte, wie bei voluminösen Kühlgeräten im XXL-Format, die oft in den USA oder in Luxusküchen verplant werden. Dafür hat Hettich die Schwerlastvariante „K05“ mit bis zu 110 Kilogramm Tragkraft entwickelt. Damit die Spaltmaße der Möbelfronten Haltung bewahren wie am ersten Tag.

Je nach Geräteklasse Upgrade-fähig
Die Lebensmittelverträglichkeit steht auch im Lastenheft für die Auszugführung „Quadro Compact“, der Version der bewährten Möbel-Auszugführung „Quadro“ speziell für Kühlgeräte und Weinlagerschränke. Damit bestückte Frischhaltefächer in Kühlgeräten sind mit Dämpfungseigenschaften erhältlich. Oder auch nicht gedämpft in einer preisgünstigeren Variante für die differenzierte, auf die unterschiedlichen Geräteklassen zielende Marktbearbeitung. Und das mit gestaffelten Traglasten von 20, 40, 60 und 80 Kilo und wahlweise in herkömmlicher Stahloptik oder in Farbe. Weiß bietet sich angesichts der Gesamtoptik eines Kühlschrankinnenraums bei farblichen Auszugführungen von Natur aus an. Umsetzen lassen sich aber auch dunkle Oberflächen. Was besonders bei eleganten Weinlagerschränken genutzt wird. Das gilt für Auszüge und Scharniere. Abgestimmt sind diese farblichen Möglichkeiten auf die aktuellen Möbeltrends, die das Team von „Hettich White Goods“ stets im Blick haben.
Neben der individuellen Optik verweist Ann-Christin Deutsch auf weitere Komfortaspekte. Das sind der feste Sitz der Frischkästen auf den Auszugschienen, der leichte Lauf sowie die Möglichkeit, die Stauraumbehälter fürs frische Gemüse entriegeln und entnehmen zu können. Was bei der Speisenzubereitung ebenso nützlich sein kann wie bei der Grundreinigung der Boxen. Hinzu kommen im Segment „cold“ Produktlösungen wie der Drehteller „ComfortSpin“ und Quadro Compact „2 in a line“: Mit dieser Lift-up-Box für Unterbau-Geräte lässt sich auch der bislang kaum zugängliche Sockelstauraum vor dem Gerätekompressor nutzen: Beim Herausziehen des Auszugwagens schiebt sich die untere Box nach oben und ermöglicht eine komfortable Entnahme der Lebensmittel. Kühlgerätespezialist Liebherr stellte zuletzt ein Gerät mit dieser Funktion auf der Küchenmeile im September 2021 vor. Den Drehteller „ComfortSpin“, der Lebensmittel aus dem hinteren Bereich des Kühlschranks einfach nach vorn holt, nutzen derzeit Miele und Electrolux ab Werk. Miele in einer eigenen Glasversion, Electrolux in Kunststoff. Endverbraucher können die Ausstattung zudem bei Amazon erwerben und nachrüsten.

Hitzestabil bis 500°C
Noch eine Spur direkter erlebbar wird der Komforttransfer vom Möbel ins Gerät bei den „Quadro“-Auszugführungen für Backöfen. Denn hier fallen neben den gewünschten Laufeigenschaften konkrete Sicherheitsaspekte ins Gewicht. Ob Teil- oder Vollauszug: Wer vor dem heißen Backofeninnenraum an den Speisen hantiert, sollte sich darauf verlassen können, dass nichts wackelt oder schwankt und Rost oder Blech stabil auf der Führung sitzen. Dafür verfügen die Auszüge über die Rastfunktion „Perfect Stop“. Die pyrolysegeeigneten Modelle vertragen Temperaturen von bis zu 500°C. „Damit können die Auszüge während der Hochtemperaturreinigung im Ofen verbleiben, ohne ihre Funktionseigenschaften zu verlieren“, erläutert Ann-Christin Deutsch. Dafür wurde unter anderem ein spezielles Fett entwickelt, das die Laufeigenschaften geschmeidig hält. Bei anderen Auszügen verbrennen die Schmiermittel angesichts der hohen Pyrolyse-Temperaturen. Deshalb müssen diese vor der Reinigung entnommen und separat gereinigt werden.
Auch im „hot“-Segment setzt Hettich auf Differenzierungsmöglichkeiten für die Kunden der Hausgeräteindustrie. So gibt es die Unterscheidung zwischen Voll- und Teilauszügen. Zudem lassen sich die Edelstahl-Schienen in einer modernen, dunklen Optik verwenden.

Bequem auf Griffhöhe
Im dritten Einsatzgebiet der „White Goods“ geht es feucht und heiß zu. Für Geschirrspülmaschinen sind die „Quadro “-Auszüge noch einmal auf eine ganz eigene Weise weiterentwickelt worden, mit speziellen Produkteigenschaften wie fettfreiem Auszuglauf und Körben mit Überauszug. Hinzu kommt das Liftsystem „ComfortSwing“, das den Unterkorb mit wenig Kraftaufwand und einer sanften Bewegung auf Griffhöhe bringt. Als erster Gerätehersteller präsentierte Electrolux/AEG das System auf der IFA 2016. Unter der Bezeichnung „ComfortLift“. 2020 folgte der Schweizer Premiumhersteller V-ZUG mit der individuellen Umsetzung „OptiLift“.

Noch viel Potenzial
Den Bewegungs- und Dämpfungskomfort vom Möbel ins Gerät zu transferieren, ist ein anspruchsvolles Unterfangen und fordert engagierte Entwicklungsarbeit. In der Premiumklasse des Hausgerätemarkts ist dies längst gängige Praxis. Küchennutzer profitieren dort vom Komfort- und Sicherheitsgewinn. In der Breite sei beim Thema Küchenkomfort aber Luft nach oben. Um dieses Potenzial zu erschließen, präsentieren Ann-Christin Deutsch und ihre Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeiten bei den Kunden der Hausgeräteindustrie vor Ort. Und das weltweit. In gemeinsamen Workshops werden Gedanken, Wünsche und Anregungen geteilt. Wegen der Corona-Pandemie fanden die Präsentationen zuletzt verstärkt virtuell statt. Gesendet wurde (und wird) aus dem Hettich Forum in Kirchlengern. Diese Zwischenlösung sei nützlich und hilfreich, soll aber wenn möglich schon bald wieder von persönlichen Zusammenkünften vor Ort abgelöst werden. Denn den butterweichen Lauf eines Frischebehälters im Kühlgeräte oder deren Einzug wie von Geisterhand erlebt man am besten sinnlich und direkt.

Dirk Biermann