14.06.2022

Es hätte in diesem Beitrag um fehlende Elektrogeräte gehen können. Um gestörte Lieferketten, ausufernde Energiekosten und den Mangel an Fachkräften. Um all das, was uns aktuell beschäftigt. Doch es kam anders.

 

Dirk Biermann, Chefredakteur KÜCHENPLANER online/offline.

Vielleicht erinnern Sie sich an den aus heutiger Sicht verstörenden Werbefilm aus den 1950er-Jahren. Mit Helga in der Hauptrolle. Sie mag Ende zwanzig sein, schlank, adrett und von bemerkenswerter Vitalität. Nach acht fleißigen Stunden in der Schreibstube eilt sie gut gelaunt in den Feierabend. Daheim greift sie zur Rüschenschürze, dann zu den Kartoffeln. Denn Gatte Bernd kommt bald nach Hause und der hat einen Bärenhunger. Die nächste Szene spielt am Küchentisch. ­Helga und Bernd strahlen, denn der Pudding hat die optimale Konsistenz. „Zwei Lebensfragen bewegen die Frau von heute“, säuselt es aus dem Off, „was soll ich anziehen und was soll ich kochen?“

Filme wie diese amüsieren uns. Sie wirken wie es aus der Zeit gefallen. Und doch beweisen die darin in Szene gesetzten Geschlechterklischees einen überraschend langen Atem. Heute werden sie nicht allein von Mario Barth strapaziert. Mit Flexibilität in der Blickrichtung. Unter der Überschrift „Mein Haus, mein Auto, meine Küche: Immer mehr Männer entdecken das Kochen“ erreichte kürzlich eine Mitteilung die Redaktion. Das Eintreffen des digitalen Schriftstückes an sich war nicht das Bemerkenswerte. Sondern der Inhalt. Was die geplante Ausgestaltung dieses Beitrags grundlegend beeinflusste.

Der als Presseinformation gesendete Text handelt vom Mann und dessen Beziehung zur Küche. Sinngemäß heißt es, dass immer mehr Exemplare dieser Spezies die Leidenschaft fürs Kochen entdecken, doch dass Schwärmerei allein nicht genüge. Um die Lebensqualität zu nähren, müsse die Küche perfekt ausgestattet sein. Es folgen erhellende Passagen, was zu einer „richtigen Männerküche“ gehört. Allen voran: Vernetzte Küchengeräte mit „Home-Connect-Technik“ und App-Funktionen. Klar, für den technikverliebten Mann ein Must-have.

Wer beim Kochen nichts verpassen will, für den sei der integrierte Flatscreen ein weiteres Muss. Neben dem Induktionskochfeld mit Touchsensor seien auch direkt in die Kochplatte eingelassene Muldenabzüge beliebt. Besonders bei großgewachsenen Menschen (und welcher Mann ist das nicht?), die es bestimmt zu schätzen wüssten, wenn erst gar keine Dunstabzugshaube in Kopfhöhe positioniert sei, an der man sich stoßen könne.

Die Heißwasserarmatur erspare Zeit, und ein Side-by-Side-Kühlschrank mit Barfach und Eiswürfelaufbereiter mache nicht nur Männer glücklich. Wer darüber noch in Ekstase verfallen könnte, bleibt ungenannt. Ein echtes Highlight in der Grillzeit sei eine als „Grill-Küche“ bezeichnete herkömmliche Einbauküche. Denn wenn es in Strömen gießt und die Grillparty zu platzen drohe, überzeuge der Backofen mit allerlei Funktionen. Das freue den Grillmeister und auch seine Gäste.

Auch Gadgets, die nicht technischer Natur sind, sollen Männerherzen höherschlagen lassen. „Neben Fleisch gehören Pizza und Pasta zu den bei Männern beliebtesten Gerichten“, wissen die Experten (so, so) und empfehlen den Pizzastein für den Ofen und den Himalaya-Salzstein für die Würze. Um auch Getränke-mäßig immer gut ausgestattet zu sein, böte sich ein Auszug extra für Getränkekisten an. So sei der Nachschub immer griffbereit.

Neben der Ausstattung komme es auf die Optik an. Männer, so heißt es, bevorzugen robuste Materialien, die nicht täglich auf Hochglanz poliert werden müssen (hört, hört). Ergänzend empfehlen sich matte Oberflächen, auf denen Fingerabdrücke keine Chance haben (die kleinen Tollpatsche). Farblich seien Männer eher zurückhaltend: Klassisches Schwarz, Weiß oder Grau sowie Holztöne haben die Oberhand, Töne wie Salbei, Petrol und Mokkabraun schaffen die kleinen Farbkleckse (!), natürliche Materialien wie Naturstein, Beton oder Leder die besonderen Akzente.

Der Beitrag schließt mit einem Tipp für den Vatertag. Wer keine Lust habe auf eine große Sause mit Freunden außerhalb der vier Wände, solle einfach daheimbleiben und eine spezielle Küche mit integrierter Bar genießen: „Der Weinkühler mit zwei Temperaturzonen und Platz für bis zu 33 Flaschen lässt niemanden bei einem gemütlichen Sit-in auf dem Trocke­nen sitzen“, lautet das Versprechen. Es fühlt sich an wie eine Drohung.

Für Frauen ging es einst um die Strategie bei Bekleidungsauswahl und Menüplanung. Die beiden Lebensfragen des Mannes von heute scheinen zu lauten: Ist der Grill schon angeheizt und hat Helga genug Bier kaltgestellt? Was ein Jammer. Vielleicht sollten wir uns doch besser über abtrünnige E-Geräte, ruinierte Lieferketten und fehlende Fachkräfte unterhalten.

Dirk Biermann

Dieser Beitrag ist mit der Überschrift „Für richtige Männer“ als Editorial in der Ausgabe KÜCHENPLANER 5/6 2020 erschienen.