14.12.2009

"Wenn Du es eilig hast, gehe langsam," heißt der Titel eines Buches von Lothar J. Seiwert, das sich mit einer neuen Art des Zeitmanagements in einer beschleunigten Welt beschäftigt. Neu im Sinne von menschenfreundlich, weil nicht die isolierte Zeit-Effektivität zum Nonplusultra erhoben wird, sondern der Mensch mit all seinen Rollenanforderungen und Lebenszielen in den Mittelpunkt gestellt wird.

Gleichzeitig ist es ein Plädoyer für eine gesundheiterhaltende Entschleunigung von Berufs- und Privatleben. Oder um es in der Kalenderblatt-Sprache zu formulieren: Weniger ist mehr.

In der auf Tempo und Effektivität getrimmten Küchenbranche könnte ein deutliches Mehr vom Weniger gleichfalls für ein befreiendes Aufatmen sorgen. Neuheiten en masse werden durch die Gassen gejagt. Jahr für Jahr eine Vielzahl neuer Farben, neuer Details, neuer Geräte, neuer Funktionen, neuer Spülen, neuer Armaturen... und... und... und. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, der Markt lebt von Neuheiten. Doch kaum ist ein Produkt im Handel angekommen, hechelt die nächste Generation durch die Ladentür. Noch besser, noch funktionaler, noch komfortabler. Längst mehren sich die Stimmen, die hinter mehr oder minder vorgehaltener Hand raunen, dass diese ultra-kurzen Entwicklungszyklen niemandem nutzen.

  • Den Herstellern nicht, weil die Küchenwelt nicht von Jahr zu Jahr neu erfunden werden kann.
  • Dem Handel nicht, weil viel zu viele Produkte schon wieder aus dem Sortiment gekegelt sind, bevor die dazugehörige Artikelnummer überhaupt Zeit hatte, sich im Kurzzeitgedächtnis anzumelden.
  • Dem Verbraucher nicht, weil er bei dieser Art der Trendhetze immer die Angst haben muss: "Was ich heute kaufe, ist morgen schon wieder von gestern."

Alles in allem sehr unglücklich bei einem Produkt, das viele Jahre lang für Freude sorgen soll. Da wartet der Verbraucher doch lieber noch einige Monate ab und prüft, ob die nächste Neuheitenwelle nicht noch attraktiver ist. Das sind Sitten wie in der Computerbranche und tragen sicher nicht dazu bei, das "Haben wollen"-Gen im Verbraucher nachhaltig anzuregen. Küchen sind ein auf Langfristigkeit angelegtes Investitionsgut und haben mit kurzfristig drehenden Produkten wie Computern in etwa so viel zu tun wie Shakespeare mit den Gloria-Romanen vom Kiosk.
Bei den Herbstmessen fiel auf: Eine grifflose Küche reiht sich an die nächste. Jede für sich hübsch, keine Frage, aber selbst bei wohlwollender Grundhaltung fällt es schwer, jeder grifflosen Variante mit ehrfurchtsvollem Staunen des noch nie Dagewesenen zu begegnen. Und da Geräte und andere Küchenbestandteile ebenfalls bevorzugt mit bündiger Oberfläche glänzen, blickt der Kücheninteressierte auf uniforme Flächen. Da polarisiert nichts, da differenziert wenig. Dass Ausnahmen die Regel bestätigen, trifft auch in diesem überspitzt formulierten Beispiel zu.
Woher rührt diese Art Einheitsdesign? Trifft es wirklich ausnahmslos unser aller Geschmack? Oder bleibt beim gefühlten Zwang zur jährlichen Neuheitenrallye viel zu wenig Zeit, um sich um wirklich neue und innovative Konzepte zu kümmern, sodass bereits ein neuer Farbton oder der Wechsel von Hochglanz zum Mattlack als Trend ausgerufen wird?
Die Mehrheit der Küchenbranche möchte eine wertige Vermarktung. Eine solche benötigt einen angemessenen Rahmen. Produkte brauchen Zeit, um im Handel und beim Verbraucher anzukommen. Neue Ideen und Konzepte ebenfalls. Manchmal zwei Jahre, manchmal auch drei.
Es scheint dringender denn je geboten, die aktuelle Neuheiten- und Messepolitik kritisch zu überdenken. Eine mögliche Lösung: Alle zwei Jahre eine wirkliche Neuheiten- und Trendschau für das Gesamtprodukt Küche auf einer internationalen und in den Medien inszenierten Küchenmesse in Köln, garniert mit Hausausstellungen und regionalen/nationalen Fachmessen zur Kundenpflege und für die Präsentation von Ergänzungen in Details - je nach Firmenphilosophie und Geldbeutel entweder jährlich oder alle zwei Jahre im Wechsel zur Kölner Küchenmesse. Wenn Du es eilig hast, gehe langsam.

Dirk Biermann, Chefredakteur
d.biermann@strobel-verlag.de