12.09.2009

Wer hätte das gedacht. Noch vor wenigen Monaten drohte der inländische Küchenmarkt - überspitzt formuliert - zu einer No-Go-Zone zu verkommen. Heute gleicht er einer grünen Insel in einem Meer aus Rot.

Von Anfang an: Export war das Zauberwort, das den Vertriebsleuten in den vergangenen Jahren die Freudentränen in den Augenwinkeln glitzern ließ. Insbesondere in den Ländern der ehemaligen Ostblockstaaten lockte fette Beute. Und erst in Indien, China oder Brasilien. Die ganze Welt ein kleines Dorf - ausgestattet mit Küchenmöbeln, Geräten und Spülen aus Deutschland. Was für Aussichten. "Export ist die Zukunft" lautete es allenthalben euphorisch und wie einst die Goldritter zum Klondike zog es die Karawanen gen Osten.

Fragen nach der aktuellen Lage im Inland ernteten zunehmend mitleidige Blicke. Begleitet von Einschätzungen, die ein permanentes Null-Wachstum heraufbeschworen. "Bei diesen Neubauzahlen", munkelten die Auguren bedeutungsschwanger. Fragen gar zur Zukunft eben dieses Heimatmarktes mit seinen 80 Millionen Verbrauchern sowie den Möglichkeiten einer Marktaktivierung durch kreatives Marketing und professionell-verlässliche Vertriebspolitik wurden immer häufiger nur noch hinter vorgehaltener Hand geraunt. "Off the records" versteht sich. "Bei diesen Neubauzahlen...! Ich bitte Sie."
Und dann wurde es Herbst 2008. Fast ohne Vorwarnung rutschte die Weltwirtschaft in den Keller und vieles, was in Europa mit Küchen zu tun hat, rutschte mit. Spanien: -18,4%, Groß­britannien: -13,2%, Italien: -8,1%. Die auf den Markt für Haushaltsgroßgeräte abgestimmte Liste ließe sich beliebig verlängern. Im gelobten osteuropäischen Land waren die Einbrüche noch schlimmer. Eine farbige Grafik mit den aktuellen Zahlen der Marktforschungsinstitute macht es deutlich: Es gibt kein einziges europäisches Land, das keinen Rückgang der Hausgeräteverkäufe zu verzeichnen hat. Beim Holz und bei den Spülen sieht es kaum anders aus. Alles Rot. Außer Deutschland. Hier leuchtet es Grün: +1,8%.
Tatsächlich hat sich der deutsche Einbauküchenmarkt im so oft und so heftig beklagten 1. Halbjahr 2009 stabil gezeigt. Sogar leicht wachsend in Menge und Preis, wie Helmut Saal, Leiter der AEG-Abteilung Intelligent Business, im Rahmen eines Fachpressegesprächs anhand aktueller Zahlen aufzeigte - wohl wissend, dass es bei jeder statistischen Auswertung zum Gesamtprodukt Einbauküche sehr glückliche (Geräte) und nicht ganz so glückliche Marktteilnehmer (Holzlieferanten) gibt. Ausnahmen bestätigen selbstverständlich die Regel.
Objektiv positive Nachrichten in Deutschland? "Wie konnte das passieren?", mag der pessimistische Teil in uns grübeln. Versuchen wir uns in Antworten: Der Küchenmarkt in Deutschland bewegt sich seit mehreren Jahren auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Anders gesagt: Wir sind in Deutschland mit der Zahl der verkauften Küchen so weit unten, tiefer geht kaum. Boomzahlen, wie sie zuletzt auf den britischen Inseln oder in Spanien zu verzeichnen waren, gab es hierzulande nicht. Es wird also aller Wahrscheinlichkeit nach eher weiterhin stabil bleiben oder nach oben gehen (= positive Nachricht). Denn die ungesättigte Nachfrage und die Zahl der in Würde vergilbten, aber inzwischen massiv austauschwürdigen Küchen ist nach wie vor hoch.
Zu beobachten ist zudem eine stabil hohe Anschaffungsneigung für langjährige Gebrauchsgüter (als statistischer Teil des allgemeinen Konsumklimas). Ist dies Ergebnis einer nicht planbaren Einkaufsdynamik eigenwilliger Verbraucher - oder vielleicht doch Resultat der vergleichsweise forsch eingeleiteten Konjunkturprogramme der Politik?
Ein weiterer Aspekt: Der durchschnittliche Verkaufswert pro Einbauküche steigt. Längst wird das traditionelle Einstiegssegment plus/minus 2000 Euro nicht mehr so vehement beworben wie früher. Schließlich wird die Gesellschaft immer älter und ruft nach jung gebliebenem Design in der Komfortklasse, statt nach jugendlichen So-billig-wie-möglich-Küchen. Beobachtbar ist ein Wechsel der Werbeansprache zum sogenannten konsumigen Bereich der 5000 Euro-Klasse und höher. Die Kunde vom Nutzen moderner Techniken wie Induktion, energieeffizienten Kühlgeräten und Dampfgaren, aber auch von komfortablen Innenausstattungen, die abstrakte Begriffe wie Ergonomie in leichtläufige Bewegungen umsetzen, ist bei immer mehr Verbrauchern angekommen und lässt die Verkaufserlöse steigen. Wer sich als Verkäufer Beratungszeit für diese Dinge nimmt, so die übergreifende Erfahrung, stößt in der Regel auf sehr weit geöffnete Kundenohren.
Also, ich weiß nicht, was Sie für einen Eindruck haben. Aber für mich riecht das alles geradezu nach einem aufstrebenden Markt. Wer hätte das gedacht!

Dirk Biermann, Chefredakteur
d.biermann@strobel-verlag.de