08.06.2010

Wörter sind eine tolle Erfindung. Zusammengesetzt zu Mitteilungen erst recht. Doch was heute technisch bequem von der Hand geht, war einst mühevolle Arbeit. Was müssen das für aufreibende Zeiten gewesen sein, als jede Kurzmitteilung noch als Bildergeschichte mit dem Handfäustel in Granit gemeißelt werden musste. Von wegen mal eben ’ne E-Mail schreiben. Über einen gewöhnlichen Einkaufszettel dürften schnell mehrere Tage ins Land gegangen sein.

Blutig gehauene Finger oder Verletzungen durch herumfliegende Splitter inklusive. Schwere Zeiten. Ganz schwere Zeiten.

Verneigen wir uns an dieser Stelle kollektiv und voller Dank vor den Phöniziern. Denn sie waren es, die das Alphabet erfunden haben. Gut, nicht so, wie wir es gewöhnt sind. Aber alles, was wir heutzutage an organisierter Lautschrift kennen, hatte vor rund 3500 Jahren im Gebiet des östlichen Mittelmeers seinen Ursprung.
Mit Wörtern lassen sich komplizierte Sachverhalte für alle verständlich auf den Punkt bringen. Schriftlich und verbal. Universell verwendbar sind viele Wörter obendrein. So beschreibt das Wort "Hammer" längst nicht mehr allein einen zum Schlagen oder Klopfen geeigneten Gegenstand mit einem Kopf aus Metall (bevorzugt) und einem rechtwinklig daran befestigten Stil (meist aus Holz). Längst dient "Hammer" als Umschreibung für Gefühlszustände aller Art. Oder als Bewertungskriterium für kreative Leistungen. Dann häufig als kumpelhaftes "Hammaaaaa" gebraucht. Oder in der emotionsgeladenen Steigerungsform "echt Hammer". Quer durch alle Gesellschaftsschichten hat sich der Hammer empor geklöppelt und den Begriff "geil" zurück in die Abgründe der Geizgosse geschubst. Das tut hammermäßig gut.
Doch kein Licht ohne Schatten. Dunk­le Kreaturen haben die Alltagssprache unterwandert und erklimmen als Worthülsen getarnt die Karriereleiter. Einst waren sie mit Sinn gesegnet, doch hat sich dieser durch ebenso inflationären wie unachtsamen Gebrauch verflüchtigt wie Tau in der Morgensonne eines lauschigen Julitages.
Der "Trend" gehört zu dieser Riege zwielichtiger Gesellen. Ob er sich erinnert, dass mit seiner Hilfe einmal grundsätzliche gesellschaftliche oder wirtschaftliche Strömungen und Entwicklungen beschrieben werden konnten? Dabei war sein Abstieg absehbar. Spätestens als er sich mit der flatterhaften "Tendenz" eingelassen hatte, die ihn peu à peu umgarnte, um schließlich ganz von ihm Besitz zu ergreifen. Steht heute irgendwo Trend geschrieben, kann es sehr gut sein, dass sich dahinter lediglich eine Tendenz als wahrgenommene Häufung von Ereignissen, die in eine bestimmte Richtung zielen, verbirgt. Da ändert auch der Vater aller Trends, der Megatrend, nichts dran.
Obacht ist zudem bei "Innovation" geboten. Damit ist schon längst nicht mehr allein etwas gänzlich neu Erschaffenes gemeint. Schon angepasste Details bekannter und bewährter Gegenstände sonnen sich großspurig im innovativen Glanz. Als Wortempfänger muss man aufpassen wie ein Luchs, um dem selbstbewusst auftretenden Emporkömmling nicht auf den Leim zu gehen.
Kommen wir schließlich zur "Nachhaltigkeit", dem wohl jüngsten Spross auf der Liste bedrohter Worte. Seitdem mit "Bio" wieder Geld zu verdienen ist, bekommt alles, was nach Wald riecht und bei drei nicht auf dem Baum ist, das dazugehörige Etikett verpasst. Nachhaltig ist, was den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Manche verbale Nachhaltigkeitssiegel sind so groß, dass diese Bedeutung darunter glatt verloren geht.
Die modernen Zeiten sind in erster Linie eins: schnell. Das gilt auch für viele Wortgebraucher. Kurz nicht aufgepasst, schwups, trenden nahhaltige Innovationen durch die digitalen Pixelwälder, dass es nur so summt. Da meldet sich die Frage: Wo gibt es heutzutage eigentlich Granitfäustel zu kaufen?

Dirk Biermann, Chefredakteur
d.biermann@strobel-verlag.de