06.06.2018

Hauptsache nicht mehr als Küche erkennbar und Hauptsache mobil – damit es beim nächsten Umzug besser fluppt. In Sachen Trends hätte man von der Eurocucina wohl mehr erwarten dürfen. Oder naht das Ende der Einbauküche, so wie wir sie kennen, schätzen und lieben gelernt haben, tatsächlich?

Die Eurocucina scheint schon wieder Lichtjahre entfernt. Dabei sind es mit Erscheinen dieser Ausgabe gerade mal etwas mehr als sechs Wochen. Vielleicht liegt das an unserer schnelllebigen Zeit, vielleicht an den vielen anderen Terminen, die seitdem Aufmerksamkeit eingefordert haben, vielleicht ist es aber auch das psychologische Moment der Verdrängung, das hier das Kommando übernimmt. Denn seien wir ehrlich: ein Zuckerschlecken ist der Messebesuch in Mailand nicht. Allein schon wegen der vielen Menschen. Das fängt in der Metro an. Ein Cappuccino beim Frühstück zuviel – weil man doch gerade so schön im Kontakt mit der italienischen Lebensart war – und schon ist der antizyklische Reiseplan dahin. Dann steckt man mittendrin in einer dieser elektrifizierten Sardinenbüchsen und rumpelt im Schummerlicht durch unterirdische Gänge. Immer in der Hoffnung, dass der Zugführer den Weg kennt und die Stromleitungen stabil bleiben. Irgendwo wird doch noch ein Fitzelchen Sauer­stoff sein. Wer das einmal miterlebt hat, weiß, wie lange 38 Minuten sein können.

Die Eurocucina ist natürlich mehr als kollektives Schwitzen in schlecht gelüfteten Eisenbahnwaggons. Es ist auch dichtes Geschiebe und Gedränge an Messeständen, wie geplündert wirkende Imbissauslagen zur Mittagszeit und ein heilloses Durcheinander auf den kargen Grünflächen des Messegeländes. 434. 509 Besucher* sollen es an sechs Tagen gewesen sein. Wer vor Ort war, hat keinen Grund, an den Zahlen des Veranstalters zu zweifeln.

Sollten Sie jetzt argwöhnen, dass es mir in Mailand nicht gefallen hat, habe ich einen falschen Eindruck erweckt. Grundsätzlich war ich natürlich froh, die Fahrten mit der Metro wieder einmal unbeschadet überstanden zu haben, doch gleichzeitig fühlte ich mich auch aktiviert. Und inspiriert – von dieser kreativen Grundstimmung, die allgegenwärtig zu sein schien. Denn die Eurocucina ist natürlich mehr als zu viel, zu voll, zu eng. Die Ausstellungen in den Design-Vierteln der City gehören zwar nicht zum offiziellen Geschehen dazu, aber irgendwie natürlich doch. Gerade diese Kombination macht den Charme der Messewoche aus.

Inhaltlich gab es manche bemerkenswerte Präsentation und viel Fortgeführtes. Wohnliche Möbel für offen konzipierte Grundrisse, großformatige Einschubtüren, bewegliche Arbeitsflächen, das Spiel von offenen und geschlossenen Flächen, viele Regale mit und ohne integrierten Kastenelementen, sehr viel Licht an allen möglichen und unmöglich scheinenden Stellen, sehr viele Module, viel Glas und Kräuteraufzuchtstationen für den naturnahen Touch. Der ist auch bitter nötig, denn die bevorzugt dunklen bis tiefdunklen Fronten versprühen zwar Eleganz, lassen aber ein wenig die Lebensfreude vermissen. Da leistet ein Topf Basilikum aus dem Discounter schon mal gute Dienste. Zum Glück gibt es aber auch immer mehr hochwertige, natürliche Materialien wie Keramik, Keramik und Keramik. Aber auch Keramik in Marmor-Optik. Und Stein generell.

Und an welchen grundlegenden gesellschaftlichen Entwicklungen orientiert sich diese Gestaltung von Möbeln zur Gestaltung von Lebensräumen? Da ist wohl allen voran der Anspruch des zeitgemäßen Kunden an Mobilität. Deshalb muss vieles leicht und offen wirken mit dünnen Fronten und Arbeitsflächen sowie dem Verzicht von Griffen. Und handfeste Materialität. Als Gegenentwurf zur ewigen Display-Wischerei. Und Ökologie. Um ein Rest von Verbundenheit zu spüren in einer zunehmend durchdigitalisierten Welt.

Bestimmt 95 % aller in Mailand präsentierten Küchen zielten auf die oberen 5 % des Marktes. Wobei sich stets auch die Frage stellte, was im Einzelfall begnadete Küchenbaukunst mit Chance auf Wiederholung ist und was das einmalige Ergebnis eines talentierten Messebauers. Aber genau das macht die Eurocucina auch aus. Diese Lust am Spielen und Träumen. Mal wird ein Trend daraus, mal auch nicht. Zum Glück gibt es ja noch die LivingKitchen. Die wird dann zeigen, was davon in der modernen Küche umgesetzt werden kann. Für die übrigen 95 % des Marktes. Und dann auch gern als Einbauküche. Die ist nämlich lebendiger denn je, in welcher Umsetzung auch immer, ob im offen konzipierten Wohnraum oder traditionell.
Dirk Biermann


Dieser Beitrag ist als Editorial der Ausgabe KÜCHENPLANER 5/6 2018 erschienen.