04.12.2019

Hersteller, die heute erfolgreich sein wollen, müssen anders sein. Sie müssen eine Marke kreieren, die wiedererkennbare Merkmale hat – oder sich zumindest ein Gesicht geben, das sie vom Wettbewerb unterscheidet. Das wurde auf einer Tour mit Beschlägehersteller Grass über die Küchenmeile deutlich.

 

Scharniere, die kaum noch als Scharniere erkennbar sind und neue Gestaltungsmöglichkeiten hinter den Fronten erlauben. Auch das ist eine Möglichkeit für Küchenmöbelhersteller, eigene Wege zu beschreiten. Diesen realisiert Sachsenküchen mit dem Produkt „Tiomos“ von Grass. Foto: Biermann

Heidrun Brinkmeyer, Ballerina-Küchen: „Wir bieten dem Handel jedes Jahr besondere PoS-Aktionen an, in diesem Jahr ist es eine Kooperation mit dem Gewürzhersteller Ankerkraut.“ Foto: Biermann

Elko Beeg, Sachsenküchen: „Wer innovativ sein möchte, muss Bestehendes auch mal infrage stellen.“ Foto: Biermann

Christoph Fughe, Störmer Küchen: „Ausgesuchte Markenkonzepte mit den Endkundenmarken Musterring und Villeroy & Boch schaffen eine Abgrenzung zum sonstigen Fokus auf Preis und Produkt.“ Foto: Biermann

Andreas Wagner, Rotpunkt Küchen: „Im ‚Inspiration Point‘ die Vielfalt und die Planungsvarianten in einer Umgebung wie im Workshop präsentieren.“ Foto: Biermann

Ballerina ist aufs Gewürz gekommen und bietet dem Handel eine Kooperation mit Ankerkraut an. Dazu gehören auch speziell abgestimmte Innenausstattungen im Möbel. Foto: Biermann

Doch was bedeutet Differenzierung in der Möbelwelt? Und wie können sich Küchenhersteller vom Wettbewerb differenzieren? Diesen Fragen ging Beschlägespezialist Grass im Rahmen einer begleiteten Tour mit Fachjournalisten auf der Küchenmeile 2019 nach. Antworten wurden auch gefunden: Bei sechs namhaften Küchenmöbelherstellern. SieMatic, Rotpunkt Küchen, Ballerina-Küchen, Häcker Küchen, Sachsenküchen und Störmer Küchen wurde die Gelegenheit geboten darzustellen, wo sie Mut zur Differenzierung zeigen und bei welchen Themen sie dies für wenig zielführend halten.

Stilwelten statt Küchenkoje
Der Kunde, das unbekannte Wesen: Für die Hersteller ergeben sich wenige Möglichkeiten, direkt mit den Endkunden in Kontakt zu treten. Über Marktanalysen und Kundenbefragungen wissen Unternehmen zwar heute ziemlich genau, was Kunden wünschen. Doch für die direkte Ansprache fehlt der Raum, denn zwischen Hersteller und Küchenkäufern steht der Handel. Die Strategien, mit denen die Küchenmöbelhersteller ihre Unverwechselbarkeit vermitteln, liegen natürlich zunächst in der Darstellung der Produkte. „Wir platzieren mithilfe unserer eigenen Planungsabteilung sehr außergewöhnliche Planungen am PoS“, sagt Markus Sander, Geschäftsführer Vertrieb, Marketing und Controlling bei Häcker Küchen. Eine Strategie, die von den Kollegen geteilt wird: Der Geschäftsführer von Sachsenküchen, Elko Beeg, und sein Team haben 2016 ihr Lebensstilkonzept entwickelt: „Wir inszenieren damit eine Welt, in der die Kunden sich wiederfinden.“ Und Jörg Overlack, Leitung Markenkommunikation / PR von SieMatic, präzisiert: „Es geht nicht mehr um die reine Möbelgestaltung, sondern um ganzheitliche Raumordnungskonzepte.“ Aus diesem Grund hat SieMatic drei Stilwelten entwickelt, in denen die Kunden in den Küchenstudios ihre eigenen Vorlieben wiederfinden können.
Zu den Maßnahmen, die alle Unternehmen anbieten, gehören Schulungen der Küchenstudio-Mitarbeiter, wie sie zum Beispiel Rotpunkt Küchen seit Langem praktiziert: „Wir bieten unseren Kunden mit unserem ‚Inspiration Point‘ an, die Vielfalt und die Planungsvarianten in einer Umgebung ähnlich eines Workshops zu präsentieren“, sagt Geschäftsführer Andreas Wagner. Ebenfalls Standard ist die Bereitstellung von mehr oder weniger individualisierbaren Werbeprospekten und Marketingmaterialien. Erweitert wird diese Palette seit einigen Jahren von digitalen Instrumenten: „2017 haben wir unsere ‚Magicwall‘ vorgestellt“, erzählt Christoph Fughe, Geschäftsführer von Störmer Küchen. „Mit ihr erhält der Kunde die Möglichkeit, unsere USPs interaktiv im Bewegtbild kennenzulernen. Damit schaffen wir Reizpunkte und eine deutliche Differenzierung im Beratungsgespräch.“
Bei Ballerina-Küchen ergänzt man diese klassischen Mittel der Verkaufsförderung mit einem Blick über den Tellerrand: „Wir bieten dem Handel jedes Jahr besondere PoS-Aktionen an“, sagt Geschäftsführerin Heidrun Brinkmeyer. „In diesem Jahr ist es eine Kooperation mit dem Gewürzhersteller Ankerkraut. Wir bieten den Händlern spezielle Elemente zur optimalen Aufbewahrung von Gewürzen und Tees – und schaffen so Aufmerksamkeit am PoS und Kommunikationsanlässe für die verschiedenen Kanäle der sozialen Medien.“

Marke sein oder nicht?
Die Marke bietet enormes Differenzierungspotenzial – zumindest dann, wenn man direkt an den Kunden herantritt. Bei den Teilnehmern der Grass-Tour findet man komplett unterschiedliche Ansätze zur Markenführung: Häcker Küchen tritt im europäischen Markt als No-Name-Hersteller auf. „Unsere Kunden können unsere Küchen als Eigenmarken verkaufen und von den Möbelverbänden werden wir als Handelsmarke geführt“, erläutert Markus Sander. Auch Rotpunkt Küchen hat nicht den Anspruch, sich als Marke im Markt zu etablieren. Bekanntheit wolle man über Präsenz im Markt erlangen. Ballerina hingegen befindet sich gerade im Umbruch. Der Großteil der Küchen, die das Unternehmen in Rödinghausen produziert, wurde vor nicht langer Zeit als Handelsmarke verkauft. Hier aber hat sich das Verhältnis während der letzten 10 Jahre verschoben: „Inzwischen wird Ballerina von unseren Händlern zu 70% als Marke verkauft.“ Und Heidrun Brinkmeyer will diesen Prozess weiter vorantreiben: „Wir arbeiten gemeinsam mit unseren Stützpunkthändlern stark daran, den Namen bekannter zu machen. Dabei setzen wir auf ein verzahntes Marketing, bei dem Website und Social-Media-Kanäle eine starke Rolle spielen.“
Ebenfalls stark auf die Marke setzen die anderen drei Unternehmen, die im Rahmen der Tour besucht wurden: „Marke ist für uns mehr als Branding und Markenaktionen“, sagt Elko Beeg von Sachsenküchen. „Die Marke wird von den Menschen geprägt, die auf Augenhöhe mit Kunden und Lieferanten jeden Tag versuchen, ein Stück besser zu werden. Das Image eines hochflexiblen Möbelherstellers mit hochwertigen Produkten und vielen Innovationen haben wir uns hart erarbeitet.“
„Timeless by Tradition“ ist das Jubiläumsmotto von SieMatic und das sind drei wichtige Worte, wie Jörg Overlack erläutert: „Sie beschreiben, wofür SieMatic seit der Gründung vor 90 Jahren besteht: Design und Qualität, die keinem kurzfristigen Trend unterliegen, sondern über viele Jahre Bestand haben.“ Für den Premiumhersteller ist die Marke ein wichtiges Differenzierungsmerkmal. „Sie ist der Maßstab. Deshalb hat die Pflege der Marke im Unternehmen größte Bedeutung.“ Über Schulungen und Gestaltungsregeln für Innenarchitektur und Styling wird dieses Markenversprechen im Küchenstudio spürbar gemacht.
Dass Marken Vertrauen und Sicherheit schaffen, sieht man auch bei Störmer Küchen so. „Vor allem für die Endkunden sind sie wichtig“, findet Christoph Fughe. „Deshalb bieten wir ausgesuchte Markenkonzepte mit den Endkundenmarken Musterring und Villeroy & Boch an und schaffen so eine Abgrenzung zum sonstigen Fokus auf Preis und Produkt.“

Bestehendes infrage stellen
Christoph Fughe kommt damit erstmals auf den Kern der unternehmerischen Tätigkeit zu sprechen, die alle Unternehmen eint: Küchenmöbel. Dieses Kernprodukt ist natürlich immer noch vor der Marke und der Präsentation am Point of Sale der wichtigste Differenzierungsfaktor. Dementsprechend liegt hier der Schwerpunkt der Arbeit. Jörg Overlack von SieMatic stellt die Philosophie seines Unternehmens so dar: „Wir verstehen Küchen als Lebensräume. Deshalb denken wir nicht in Produkten, sondern in Stilwelten. Gutes Design denkt nicht an sich, sondern an die Menschen, die es nutzen.“ Und dieses Design findet man bei SieMatic in drei verschiedenen Stilwelten wieder: PURE, URBAN und CLASSIC.
Den Ansatz, mit unterschiedlichen Stilwelten, die individuellen Geschmäcker zu treffen, ist ein erfolgreicher Ansatz, den viele Hersteller verfolgen. Ein anderer ist Materialvielfalt. Bei Ballerina-Küchen ist zum Beispiel Aluminium neu ins Sortiment gekommen: „ALU Elements“ hießt die Linie, die aus Designfronten, filigranen Aluregalen, der Aluminiumsäule „New Spin“ mit Tablet-Halterung und New-Alu-Storebox besteht. Nur eine von vielen Neuheiten, mit denen Ballerina in diesem Jahr seine Differenz unter Beweis stellen will: „Ein weiteres wichtiges Thema ist die digitale Küche, die immer mehr Einzug hält“, sagt Heidrun Brinkmeyer. „Die Küche als Treffpunkt wird ebenfalls verstärkt: Unsere Y-Küche wurde erweitert, sodass jetzt an ihr noch ein Thekenplatz angebaut ist, womit die kommunikative Gestaltungsform noch stärker zur Geltung kommt.“
Differenz bedeutet ja auch, Sachen anders zu machen. Das ist der Ansatz, den Elko Beeg für die Neuheiten bei Sachsenküchen gewählt hat: „Wer innovativ sein möchte, muss Bestehendes auch mal infrage stellen. Wir haben uns also gefragt, ob man Möbelbeschläge immer sehen muss? Unsere Antwort: Nein.“ Das Ergebnis ist die erste Produktfamilie mit verdeckten Beschlägen, die in den Glasschränken und -vitrinen sowohl im geöffneten als auch im geschlossenen Zustand kaum sichtbar sind. Für diese Entwicklung hat Sachsenküchen auf eine Innovation aus der Entwicklung von Grass zurückgegriffen: Der Kinvaro T-Slim, der dünnste, effizienteste Beschlag, den GRASS je entwickelt hat, wurde von den Sachsen bereits auf der LivingKitchen präsentiert.
Christoph Fughe von Störmer Küchen sieht Eigenentwicklungen und Eigenfertigungen als „klaren Treiber“, um die Produkte von denen anderer Hersteller abzugrenzen. Sein Unternehmen bietet neben Holz, Glas- und Keramikfronten eine erweiterte Lackkompetenz im Frontenbereich. „Zudem werden Griffe, Griffprofile und Kanten durchgängig aufeinander angepasst und abgestimmt, sodass sich ein klares Gesamtbild in jeder Küchenplanung ergibt.“

Exklusive Eigenentwicklungen
Eigenentwicklungen ist auch das Stichwort, das Markus Sander für Häcker Küchen in den Ring wirft: „Wir setzen stark auf Exklusivität.“ Als Beispiel dient der Oberschrank „SlightLift“, der mit einer außergewöhnlichen Optik in Verbindung mit stimmungsvoller Lichttechnik überzeugt. Und der eben auch den Trend zum offenen Küchenbereich unterstützt: „‘SlightLift‘ funktioniert in beiden Varianten: Geschlossen als Oberschrank oder offen als dekoratives Regal.“
Bei Rotpunkt Küchen weiß man genau, was man will und was nicht: „Wir haben nicht den Anspruch, die preisaggressivste weiße Küche anzubieten“, sagt Andreas Wagner. „Gleichwohl wollen wir unseren Kunden einen Vorsprung gegenüber den Marktbegleitern bieten, und zwar hinsichtlich Design, Qualität, Farb- und Materialtrends oder der Auszugssysteme.“ Neben diesem Anspruch weist Andreas Wagner noch auf einen weiteren wichtigen Aspekt hin, der von den Endkunden mehr und mehr nachgefragt wird: Nachhaltigkeit. „Wir sind ab 2020 ein klimaneutraler Küchenmöbelhersteller und bieten hier auch mit einer Weiterentwicklung unserer Greenline-Produktfamilie einen neuen Standard im Markt an.“

Auch ein Stück Lebensgefühl
Sechs Küchenmöbelhersteller, sechs Ansätze, teils ähnlich, teils ganz eigen. Harald Klüh, Global Brand Manager von Grass zieht ein Fazit einer an Impulsen dichten Tour über die Küchenmeile 2019: „In der Philosophie spielt der Begriff der Differenz eine wichtige Rolle. ‚Das Anderssein von Dingen‘ lautet die Definition von Aristoteles. Dieses Anderssein spielt auch in der Wirtschaftswelt eine wichtige Rolle: Es ist ein konstituierendes Merkmal der Marke, mit der sich Unternehmen eine unverwechselbare Identität verleihen. Und die Marke hat auch im Interior Design mittlerweile einen bedeutenden Stellenwert erlangt: Der Endkunde kauft mit einem Möbelstück nicht nur das Möbelstück, er kauft auch ein Lebensgefühl, das zum Teil sicherlich durch die Gestaltung konstruiert wird: Ein Mid-Century-Schrank unterscheidet sich in seiner Wirkung klar von einem Biedermeier-Möbel. Doch ein wesentlicher Teil dieses Lebensgefühls wird von der Marke des Herstellers geprägt. Um dieser zweiten Kundenanforderung zu begegnen, müssen die Hersteller einen wichtigen Schritt gehen: Sie müssen es wagen, anders zu sein. Sie müssen sich vom Wettbewerb differenzieren – also eine Nichtübereinstimmung erreichen, andere Lösungen anbieten und eine unverwechselbare Marke gestalten. Dies gelingt nur, wenn verschiedene Ebenen mitgedacht werden – von der Marke, über das Produkt bis hin zum Vertriebsweg und dem Auftritt am Point of Sale.
Die Frage ist nun: Wie erreicht man Differenz auf diesen verschiedenen Ebenen? Ist die fünfhundertste Weißnuance ein Unterscheidungsmerkmal, die integrierte smarte Lichtsteuerung oder das Möbelstück, dem man nicht mehr ansieht, ob es für Küche, Wohnzimmer oder Bad gedacht ist? Marke, Vertriebsweg, Auftritt am PoS und natürlich das Produkt – all diese Komponenten nutzen Unternehmen, um anders zu sein.“ Diesem Statement sei hinzugefügt: Oder sollten es nutzen, um sich in einem sich immer gleicher werdenden Markt erkennbar zu halten und zu machen.

Dirk Biermann