22.09.2015

Es ist eine unaufhaltsame Entwicklung: Immer mehr elektronische Geräte werden mit dem Internet verbunden. Doch wie ist es um die Sicherheit bestellt, wenn Kühlschränke, Backöfen oder Kaffeeautomaten vernetzt sind? Und wie wird sich der Trend entwickeln? Darüber sprach Astrid Plaßhenrich mit der Wirtschaftsingenieurin Arzu Uyan, Leiterin der Kompetenzgruppe Smart Environment bei „eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft“.

Neu seit der IFA 2015: Der vernetzte Einbau-Kaffeevollautomat von Bosch. Foto: Bosch Hausgeräte

Arzu Uyan, Wirtschaftsingenieurin und Expertin rund ums „Internet der Dinge“. Foto: eco Verband

Küchenplaner: Was waren in Ihren Augen die spannenden Themen auf der IFA in Berlin?
Arzu Uyan:
Uns sind generelle Trends begegnet, die uns schon in den vergangenen Jahren beschäftigt haben. Zum einen ist da das große Thema der Energieeffizienz. Zum anderen gibt es die große Thematik des Internet der Dinge, das aus verschiedenen Subthemen besteht wie beispielsweise „Ubiquitous Computing*“, „Mobile“ oder „Sensoren/Aktoren“. Das bedeutet, dass immer mehr Sensoren, Rechenleistung und Kommunikationskapazitäten in physikalische Objekte integriert werden, wie in Kochfeldern und Backöfen. Zum Internet der Dinge gehört auch die Vernetzung untereinander, also die Fähigkeit von Maschine zu Maschine kommunizieren zu können. Heute steuern wir diese „smarten“ Objekte häufig mittels eines mobilen Gerätes. Die eigentliche Vision des Internets der Dinge ist es, künftig Wünsche und Bedürfnisse auf Basis von kontextuellen Informationen zu antizipieren und Prozesse autonom abzuwickeln. Aktuell befinden wir uns in einer frühen Phase der Kommerzialisierung und sprechen zwar häufig über „smarte“ Systeme: Diese sind jedoch heute nicht „intelligent“ im eigentlichen Sinne, da die semantischen Fähigkeiten fehlen. Das heißt, die Eigenschaft Daten einen Sinn und Inhalt zuzuordnen und diese anschließend zu interpretieren.

Welche Innovationen gibt es?
Arzu Uyan:
„Innovation“ ist meiner Meinung nach ein schwieriger Begriff. Es hat nichts bahnbrechend Neues gegeben. Wir durften uns aber über Weiterentwicklungen freuen. Dazu zählen beispielsweise Datenbanken wie Rezeptsammlungen, die mit Backöfen oder Kochfeldern verknüpft werden.

Wie definiert sich das Internet der Dinge?
Arzu Uyan:
Das „IoT“ (Internet of Things, Anm. d. Red.) ist zunächst nur eine Vision – eine Brücke zwischen der physikalischen und der digitalen Welt. Es funktioniert dabei wie ein digitaler sechster Sinn. Dinge aus der physikalischen Welt werden sichtbar in der digitalen Sphäre. Das IoT vernetzt Menschen mit „smarten“ Dingen und auch diese untereinander auf Basis einer gemeinsamen Infrastruktur. Die Technologien können uns dabei unterstützen, unser Leben dabei einfacher und effizienter zu gestalten. Ein Beispiel einer Zukunftsvision: Mein Wecker kommuniziert mit meinem Terminkalender. Er weiß, wann ich meinen ersten Termin habe, checkt dabei die Wetter- und Verkehrslage und weckt mich dann rechtzeitig. Wenn Schnee liegt, weckt er mich eine halbe Stunde früher, wenn die Verkehrslage ruhig ist, eine halbe Stunde später. Gleichzeitig kocht meine Kaffeemaschine Kaffee, weiß dabei aber auch, ob ich ihn vor oder nach dem Duschen trinken möchte. Das Internet der Dinge antizipiert und denkt mit.

Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Arzu Uyan:
Ich sehe dem allen optimistisch entgegen, denn die Entwicklung birgt große Chancen für uns alle. Ein intelligenter Haushalt kann beispielsweise Notrufe absetzen, wenn ein Mensch stürzt und nicht mehr aufstehen kann. Dazu ist das Internet der Dinge auch nicht aufzuhalten. Es wird davon ausgegangen, dass bis zum Jahr 2020 insgesamt 50 Milliarden elektronische Geräte mit dem Internet verbunden sind. Unsere Lebensräume werden autark. Aber wir Konsumenten entscheiden durch unser Verhalten letztendlich mit, in welche Richtung die Entwicklung getrieben wird.

Welche Risiken gibt es?
Arzu Uyan:
Risiken sind natürlich vorhanden - von möglichen Angriffen durch Dritte bis zu technisch bedingten Systemausfällen. Jedoch ist Technologie grundsätzlich neutral. Die Frage ist immer, wie sie eingesetzt wird. Neben der Sicherheit ist auch der Schutz der Privatsphäre eine große Herausforderung, denn Sicherheit ist nicht gleichbedeutend mit Privatheit. Einen großen Anteil hat aber auch der Verbraucher selbst, denn er entscheidet, welche Produkte er nutzen möchte und welche Daten er für die Nutzung der Services preiszugeben bereit ist.

Wie wäre die größtmögliche Sicherheit Ihrer Meinung nach zu gewährleisten?
Arzu Uyan:
Wichtig dabei ist, dass Sicherheit von Beginn an als wesentlicher Bestandteil der Produktentwicklung betrachtet wird. Im Sinn eines „Secure by Design“. Und nicht als nachträglicher Gedanke an ein IoT-Projekt angeflanscht wird. Anders als bei reinen Softwarelösungen ist es essenziell beim Thema Internet der Dinge auch die physikalische Sicherheit der Objekte zu gewährleisten. Des Weiteren müssen auch neue Ansätze entwickelt werden, da es für viele Produkte mit IoT-Komponenten auch noch keine adäquaten Sicherheitslösungen gibt. Wir stehen halt erst am Anfang dieser Entwicklungen, z.B. Sicherung von drahtlosen Sensornetzwerken. Nicht zuletzt unterstützt die einfache und klare Nutzerführung wesentlich die Anwendungssicherheit.

Wie kann ich meine Privatsphäre am besten ­schützen?
Arzu Uyan:
Ich selbst kann meine Daten schützen indem ich die Produkte und Systeme sorgfältig aussuche und vor allem auch nachvollziehen kann, welche Daten wofür erhoben werden. Darüber hinaus ist auch das Definieren eines starken Passwortes ein wesentlicher Beitrag, um die Sicherheit auf der Anwenderseite zu erhöhen und stellt aktuell auch eines der größten Sicherheitsrisiken dar. Wichtig bei BigData ist, dass Unternehmen nicht einfach Daten erheben, weil sie es können, sondern weil sie diese Daten sinnvoll in ihrem Geschäftsfeld nutzen wollen. Diese Sammelwut birgt auch große Risiken für die Unternehmen. Ich nenne als Beispiel nur den iCloud-Hack im vergangenen Jahr – was nicht nur einen Imageschaden, sondern auch konkrete finanzielle Schäden zur Konsequenz hatte. Ideal wäre, wenn es einen globalen Datenschutzstandard geben würde. Allerdings ist das eine Wunschvorstellung, da Organisationen, Verbände, Unternehmen und Regierungen ihre eigenen Interessen verfolgen. Um sich auf gemeinsame Standards zu einigen, braucht es aber strategische Partnerschaften auf allen diesen Ebenen. Fakt ist, auf nationaler Ebene allein lassen sich unsere Daten nicht schützen. Darüber hinaus ist beispielsweise ein zentrales Verwaltungsinstrument für die Endnutzer sicherlich sinnvoll, um den Überblick über die Vielzahl der “smarten” Dinge die uns umgeben zu behalten und die Rechte der Geräte bei Bedarf anzupassen.

Was sehen Sie noch für Schwachstellen?
Arzu Uyan:
Es muss mehr Transparenz und Flexibilität geschaffen werden. Ein Beispiel: Wenn wir Applikationen auf unser Smartphone oder Tablet herunterladen möchten, müssen wir den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustimmen. Wenn wir das nicht machen, ist uns der Zugriff verwehrt. Da gilt das Prinzip „Friss oder Stirb“. Ich denke, der Nutzer muss die Möglichkeiten haben, die AGBs einschränken zu dürfen. Dazu bin ich der Meinung, dass es klarer sein muss, ob Apps auf weitere Daten zugreifen. Oft ist das für die Nutzer nicht offensichtlich und auch nicht verständlich.

Wie ist in Deutschland das Bewusstsein für die ­sichere Internetnutzung?
Arzu Uyan:
Zunächst einmal sind wir in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern relativ sicherheitsbewusst. Und wir gehen kritischer mit dem Internet um als beispielsweise US-Amerikaner. Nichtsdestotrotz muss das Bewusstsein für Sicherheitsaspekte kontinuierlich weiter gestärkt werden.

Wie soll das geschehen?
Arzu Uyan:
Es muss viel mehr kommuniziert werden, um die Nutzer für die Sicherheit und den Umgang mit dem Internet zu sensibilisieren. Das große Thema „Internet“ wird in Deutschland immer noch sehr stiefmütterlich behandelt. Das muss in allen möglichen Kanälen sehr viel präsenter dargestellt und auch von der Politik mehr in den Fokus genommen werden.

Sie leiten seit Mai die Kompetenzgruppe Smart ­Environment des Verbandes eco. Was machen Sie da genau?
Arzu Uyan:
Smart Environment ist ein bewusst weitgefasster Begriff. Genauso weit greift auch die Arbeit unserer Gruppe. Vereinfacht gesagt, betrachten wir dabei alle Lebensräume, die mit dem Wort „Smart“ belegt sind, sei es beispielsweise „Smart Home“, „Smart Factories“, „Smart Offices“ oder „Smart Cities“. Wir analysieren die dazugehörige IT-Technologie und welche Trends sich in welche Richtung entwickeln. Dabei steht immer die Sinnhaftigkeit im Vordergrund. Darüber hin­aus informieren und beraten wir die Industrie, Organisationen oder Verbände, suchen die Kommunikation und den Austausch mit Entscheidern und treiben die Vernetzung untereinander voran.

www.eco.de


 

* Anmerkung der Redaktion: Beim „Ubiquitous Computing“ ist die Computertechnik bzw. die digitale Informationsverarbeitung allgegenwärtig und entzieht sich gleichzeitig der Wahrnehmung der Nutzer. Statt einzelner Desktop-Computer sind viele digitale Endgeräte und Systeme im Einsatz. Diese werden simultan und nahtlos in das Alltagshandeln integriert, ohne dass sich der Nutzer dessen notwendigerweise bewusst ist. Quelle: Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik


Zur Person
Seit dem 1. Mai leitet Arzu Uyan die neue Kompetenzgruppe „Smart Environment“ im eco. Tätig ist Uyan als Project and Relationship Manager bei 42DP Labs, einer Kölner Web- und Digitalagentur. „Die Zahl der smarten Produkte und Anwendungen steigt drastisch an. Fast täglich kommen neue Angebote hinzu“, erklärt die Wirtschaftsingenieurin. Die Kompetenzgruppe „Smart Environment“ besetzt ein Thema, das sich in den kommenden Jahren auf alle Lebensbereiche ausdehnen wird und deshalb sehr hohe Relevanz besitzt. Uyan: „Das spiegelt auch der Titel der Kompetenzgruppe wider. Denn zukünftig wird die gesamte Umwelt des Menschen durch smarte Anwendungen geprägt sein.“


Der eco-Verband
Mit mehr als 800 Mitgliedsunternehmen ist eco der größte Verband der Internetwirtschaft in Europa. Seit 1995 gestaltet der Verband die Entwicklung des Internets in Deutschland, fördert neue Technologien, Infrastrukturen sowie Märkte und formt Rahmenbedingungen. Spezielle „eco Services“ helfen, den Markt für Anbieter und Anwender transparenter zu machen, die Gütesiegel sorgen für Qualitätsstandards. Mit Beratungs­angeboten für Mitglieder und unseren Services für Internetnutzer unterstützt der Verband bei Fragen zur Rechtslage, erhöht die Sicherheit und verbessert den Jugendschutz. eco sieht als eine seiner wichtigsten Aufgaben an, die Interessen der Mitglieder gegenüber der Politik und in nationalen sowie internationalen Gremien zu vertreten. Neben der Hauptgeschäftsstelle in Köln unterhält eco ein eigenes Hauptstadtbüro in Berlin und ist bei allen relevanten politischen Entscheidungsprozessen in Brüssel vor Ort.