04.08.2020

Corona kann zu Stillstand führen. Corona bringt aber auch Bewegung ins Leben. Liebgewonnene Gewohnheiten stehen plötzlich in Frage. Dazu zählt zum Beispiel der Umgang mit der Arbeit im Homeoffice. Was bedeutet das alles für die Küchenplanung? Ein Gespräch mit Susanne Krüger.

Berät Küchenspezialisten und Hersteller sowie Privatkunden in Einrichtungsfragen: Wohnfühlerin Susanne Krüger. Foto: Krüger

Für manche Menschen ist das Zuhause der Ort, an dem sie sich rundum wohl fühlen, an dem vertraute Menschen leben. Für andere ist es ein Rückzugsort, es ist Heimat oder ein wohliges Gefühl. Oder ganz pragmatisch der Ort, wo das Smartphone automatisch WLAN hat. Zuhause ist ein abstrakter Begriff, der sich sehr unterschiedlich interpretieren lässt, auch wenn vielleicht die meisten von uns das Gleiche oder Ähnliche meinen.
In der Küchenbranche hat der Begriff Zuhause gerade wieder Konjunktur. Vor allem als Hoffnungsträger. Die Erwartung lautet: „Weil viele Menschen durch Corona mehr daheim sind als unterwegs, möchten sie es sich in ihrem Zuhause gemütlich machen. Gemütlich und gut ausgestattet. Gerade die Küche, die als Lebensmittelpunkt ohnehin weit oben in der Gunst steht. Und weil gerade viel mehr selbst gekocht wird, sollte diese natürlich gut ausgestattet sein.“ Es ist eine Binsenweisheit: In Krisenzeiten investiert der Mensch gern ins eigene Heim – sofern es etwas zu investieren gibt. So wird sich die Hoffnung auf stabile Umsätze wohl an vielen Stellen, die etwas mit dem Zuhause zu tun haben, erfüllen.
Darüber hinaus stellt sich eine grundsätzliche Frage: Wirkt sich Corona langfristig auf unsere Art zu leben aus? Wandelt sich vielleicht sogar gerade die Bedeutung dessen, was wir als Zuhause verstehen? Dieser Frage wollten wir näherkommen und haben uns mit Susanne Krüger in München unterhalten. Als WOHNFÜHLERIN® steht sie ihren Kunden in Einrichtungsfragen zur Seite. Sie hört zu, fragt nach und entwickelt zusammen mit den Kunden all die relevanten Fragen, die diese vielleicht selbst noch gar nicht kannten: damit aus einem bunten Strauß an Ideen ein stimmiges Zuhause entsteht. Und seit mehr als 30 Jahren ist sie in der Welt der guten Küche zu Hause.

Frau Krüger, was ist für Sie Zuhause? Ist es ­Heimat? Ein Rückzugsort? Oder ist Zuhause dort, wo die ­Menschen sind, die mir etwas bedeuten?
Susanne Krüger: Der Begriff Zuhause ist so vielschichtig wie der Begriff Liebe. So verschieden wie die Menschen sind, gibt es verschiedene Sichtweisen, emotionale Verbindungen und Lebensarten. Und gleichzeitig hat Zuhause ganz viele Bezeichnungen. Wenn ich es gleichsetze mit dem Begriff Heimat, wird es größer. Wenn ich es mit mir und meiner Person gleichsetze, dann geht es um das Zuhause und die Heimat in mir. Wenn es aber um den Ort geht, an den ich jeden Abend zurückkehre, um aufzutanken und zu entspannen, beinhaltet Zuhause auch die Bedeutung von Daheim. Dieses Wort vermittelt schon ein etwas privateres Gefühl. Zuhause als eine vertraute Umgebung zu empfinden – und das in Bezug auf einen konkreten Ort – bringt eine ganz eigene Qualität mit sich.

Wenn wir von Zuhause sprechen, müssten wir also immer auch Daheim denken?
Es sollte auf jeden Fall eine klare Definition geben. Wenn wir diesen konkreten Platz nehmen, diese Räumlichkeiten, in denen unser Bett steht, unsere Dusche und unsere Küche – und wo unsere Liebsten sind, sofern ich nicht alleine lebe –, dann ist Zuhause gleichbedeutend mit den Räumlichkeiten, in denen wir uns aufhalten. Grundsätzlich bietet eine vertraute Umgebung natürlich noch mehr und über die Räumlichkeiten hin­aus. Auch die Gefühle von Geborgenheit, Sicherheit und Ankommen, wenn ich auf der Straße meinen Post­boten treffe und mit ihm einen netten Plausch halte. Oder wenn die Nachbarin anklopft und fragt, ob sie drei Eier haben kann. Oder wenn ich in den Supermarkt auf der anderen Straßenseite gehe und ich mich mit der Verkäuferin über den letzten Tatort unterhalte. Dann ist es eine Erweiterung des Begriffs Zuhause.
Für mich relevant in meiner Arbeit als Wohnfühlerin ist – natürlich neben den gestalterischen Qualitäten – jedoch die Wirkung des Zuhauses auf den, der abends nach Hause kommt und die Türe hinter sich ins Schloss fallen lässt. Die Hauptheadline lautet: Dein Zuhause wirkt auf dich. Ob du es weißt oder nicht. Ob du es willst oder nicht.

Also ist Zuhause ein Ort, der vielfältig wirken kann. Er kann Sicherheit und Geborgenheit vermitteln und auch die Kreativität beflügeln.
Und er kann unter Umständen ziemlich destruktiv wirken. Winston Churchill hat einmal gesagt: „Erst prägt der Mensch den Raum, dann prägt der Raum den Menschen.“

Was heißt das konkret?
Wir richten uns ein und dann leben wir in dieser Umgebung. Wenn alles passend steht und dekoriert ist, freuen wir uns eine kurze Zeit darüber, und dann fängt der Alltag an. Wir leben unsere Alltagsroutinen. Heutzutage, wo wir das Gefühl haben, dass die Zeit rennt und das Leben sich so schnell bewegt, brauchen wir Orte, an die wir heimkommen und sagen können: „Hier bin ich, hier kann ich privat sein, hier gehöre ich her, hier bin ich vertraut.“

Cocooning eben. Dieser Begriff begleitet uns nun schon seit einigen Jahren.
Dazu fällt mir die Autorin Faith Popcorn ein... zwei ihrer Bücher sind Ende 1996 und Anfang 2000 erschienen. Seitdem wird Cocooning prognostiziert und gelebt. Das heißt: Cocooning ist präsent, seitdem die Küche als Lebensmittelpunkt gesehen wird. An Cocooning, dem Rückzug ins Private, ist also gar nichts grundlegend Neues. Stattgefunden hat es schon lange, aber jetzt ist es uns bewusster. Unser Zuhause hat uns schon immer einen Schutzraum geboten. Nur der Druck, dass wir diesen Ort immer dringender brauchen, der hat sich vervielfacht.

Druck wodurch?
Durch das schnelle Leben, durch das Gefühl eines schnellen Lebens, durch die ständige Flut an Informationen, im Internet, auf der Straße. Wir haben so viel Bewegung um uns herum. Aber wir sind immer noch Mensch – und kommen kaum hinterher mit so viel Geschwindigkeit.

Also das Zuhause auch eine Ruheinsel? Ein Ort, an dem wir wieder zur Besinnung kommen?
Ein Geborgenheitsschenker, ein Zurruhekommenlasser, Seelebaumelnlasser, ein Familienzusammenführer – das ist Zuhause. Diese Entwicklung kann ich bei meinen Kunden in den letzten Jahren immer verstärk­ter erkennen.

Ein Ort, an dem die laute, schnelle Welt für den Moment außen vor bleibt und wir es schaffen, uns auf etwas Stimmiges zu besinnen.
Ja, genau. Ein Stück weit in die eigene, innere Entspannung.

Was macht dann die aktuelle Corona-Situation mit den Menschen und ihrem Verständnis von Zuhause?
Corona hat gewirkt, als hätte man Spiritus in ein Lagerfeuer gespritzt. Es hat die geschilderte Wirkung von Zuhause intensiviert, weil uns das Thema plötzlich so nahegekommen ist. Wie schon gesagt: Die Räume, in denen wir uns aufhalten, wirken auf uns. Immer. Wenn wir aber morgens nur schnell einen Kaffee trinken, erst abends wieder zurückkehren und uns schon kurz danach schlafen legen, ist die Wirkung bedingt. Wenn wir aber für drei Monate fast unterbrechungsfrei zu Hause sein müssen, dann wirkt das, womit wir uns umgeben, permanent auf uns. Und wenn die Wirkung der Umgebung nicht zur jeweiligen Person passt, kann das einen gewissen inneren Druck auslösen.
Hinzu kommt natürlich das zwischenmenschliche Miteinander. Das ist in den vergangenen Monaten ein großes Thema geworden. Da sitzt zum Beispiel der Ehemann mit seinem Laptop ständig in der Küche, weil er nirgendwo anders sitzen will oder kann und macht sein Homeoffice dort. Die Partnerin, die eigentlich auch Arbeiten im Homeoffice zu verrichten hat, muss sich zusätzlich noch um den Haushalt und die Kinder kümmern. Oft weicht sie dann irgendwohin aus. Unter diesen Voraussetzungen können spannende Geschichten hochkommen.
Festzustellen ist sicher: Das Thema Homeoffice bekommt aktuell ein Manifest. Ich gehe davon aus, dass viele Unternehmen sich dieser Art der Arbeitsorganisation noch viel mehr annähern werden. Für den Einzelnen und sein Zuhause bedeutet das, dass es im Zuhause künftig klarer definierte Bereiche fürs Homeoffice geben muss.

Diese Flexibilität der Arbeitsstrukturen wird u­nter dem Stichwort New Work schon lange gefordert, gerade­zu angemahnt. Aber nur wenige Unternehmen haben sich bislang darauf eingelassen. Jetzt scheint das Homeoffice mit Macht über uns zu kommen und überrennt viele von uns sogar ein wenig. Beziehungs­weise wirkt wie Spiritus im Lagerfeuer.
Bleiben wir im Bild: Spiritus macht erst mal richtig Gas. Es gibt eine Stichflamme, dann wird es aber auch wieder ruhiger. Das Feuer brennt zwar stärker, aber es lodert nicht dauerhaft so intensiv. Also wie ein... wie sagt man doch gleich...

Strohfeuer?
Ja, Danke.

Gern.
Das Thema Homeoffice ging also erstmal los. Wie aus heiterem Himmel. Und gleich mit extremen Ausmaßen. Das wird sich jetzt anpassen und entwickeln. Wo der Umgang mit dem Homeoffice letztendlich landet, können wir noch nicht exakt vorhersehen.

Was erschwert diesen ­Ausblick?
Weil die Unternehmensphilosophien so unterschiedlich sind. Und die Haltungen dazu. Deshalb wird es stark variieren. Es wird Unternehmen geben, die sagen „Wie cool!“, wir sparen uns 50 Prozent der Mietfläche für unsere Belegschaft ein, weil wir die Mitarbeiter nur noch etappenweise und alle zwei Wochen reinkommen lassen. Ansonsten sind die zu Hause. Das ist eine Idee, mit der Unternehmen viel Geld sparen und trotzdem erfolgreiche Arbeit machen können. Der einzelne Mensch aber, der zwischen Partner und Kindern sitzt und effektiv und profitabel arbeiten soll, und der noch nie so ein Homeoffice hatte, ist im Moment wahrscheinlich erstmals etwas herausgefordert.

Diese Zusammenhänge berühren direkt unsere gelernte Beziehung zum Zuhause und dem, was die meisten von uns unter Daheim verstehen. Kurz: Arbeit fand bisher überwiegend komplett außerhalb statt, das Zuhause war Privat. Jetzt ist das auf eine sehr ungeordnete Weise gemischt. Wenn man manchen Stimmen folgt, ist dieser Zustand von Flexibilität als Nonplusultra zu sehen, ganz kurz vor Schlaraffenland. Aber ist es das wirklich? Was macht es mit den Menschen, wenn die Ruheinsel Zuhause plötzlich nicht mehr privat ist?
Da wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Sprich: In die, die das können, und in die, die daran fast verzweifeln, weil sie die Arbeit vielleicht auch ein Stück weit als Flucht genutzt haben, um aus unterschiedlichen Gründen eben nicht so lange Zuhause sein zu müssen.

Heißt das: Homeoffice muss man lernen? Oder besser: müssen manche lernen?
Müssen manche lernen. Die, die es können, tun es eh schon. Das kenne ich auch aus eigener Erfahrung und weiß inzwischen um meine stärksten Zeiten, wann ich im Flow bin und kreativ und produktiv arbeiten kann. Ich kenne aber auch viele, die sagen: „Ich habe um 12 Uhr mittags noch den Pyjama an, trinke den 15. Kaffee und habe immer noch nichts getan.“ Die stellt dieses Zwangs-Homeoffice vor echte Herausforderungen. Weil die Arbeit schließlich irgendwann erledigt werden muss, und sie im Zuhause einen Platz dafür finden müssen. Und der sollte spätestens für die Video-Konferenzen auch noch ein klein wenig repräsentativ wirken.

Die Integration von Arbeit ins Zuhause ist also eine Herausforderung für jeden einzelnen und für die Gestaltung der konkreten Umgebung. Was bedeutet dies schlussendlich für die Küchenplanung?
Die Herausforderung für den Küchenplaner ist im Grunde ganz unabhängig von Corona. Aber jetzt wird diese Herausforderung noch offensichtlicher: Es gilt wahrzunehmen, was dieser Mensch, der vor einem steht und eine neue Küche möchte, eigentlich wirklich braucht. Ich kann als Küchenplaner in der aktuellen Zeit Vermutungen haben, ich sollte es aber tunlichst vermeiden, gewisse Dinge vorauszusetzen. Zum Beispiel, dass jeder einen integrierten Homeoffice-Platz in seiner neuen Küche benötigt.
Wenn ich aber anfange, meinen Kunden in seiner Gesamtheit wahrzunehmen, quasi ein Gespür für ihn entwickle, dann bin ich als Berater ganz schnell bei konkreten Fragen zur Lebenssituation: „Wie war es denn bei Ihnen mit Corona? Mussten Sie auch plötzlich von zu Hause arbeiten? Hat das für Sie gut geklappt?“ Wenn ich mich derart für die Situation meines Kunden interessiere, bekomme ich sehr wichtige Informationen aus seinem Leben erzählt. Dadurch entsteht wertvolles Vertrauen. Und wenn ich dann noch verstehe, was mir der Kunde berichtet, kann ich eine gefühlt viel persönlichere Küche planen. Und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass er mir hinterher um den Hals fällt. Oder sie. Wo sie dann zu ihrem Mann sagt: „Hans, ich will bei dem Herrn Müller kaufen, es ist mir egal, dass es dort etwas teurer ist als bei dem distanzierten Meier. Aber das ist so toll wie der das gemacht hat. Guck mal, der hat sogar den Platz eingeplant, wo Du mit dem Laptop sitzen kannst.“ Wenn sich ein Verkaufs- und Planungsprozess so entwickelt, wird der Preis ­zweitrangig.

Also dass der Kunde sich nicht nur mit seinen Bedürfnissen als Küchenbewohner gesehen fühlt, ­sondern als Mensch verstanden wird?
Die sogenannte bedürfnisorientierte Küchenplanung ist für mich eher eine technische Bedarfsermittlung mit Checkliste. „Was wollen Sie für einen Backofen? Wie groß soll der Geschirrspüler sein?“ Das ist wie der Begriff schon sagt eine Ermittlung aber kein ­Verstehen.

Sollten wir dann, vielleicht etwas überspitzt formuliert, von einer verständnisorientierten Küchen­planung sprechen?
Bedarf, Bedürfnis, Verstehen... diese Begriffe sind mir ehrlich gesagt zu rational. Es geht darum: Wenn ich es schaffe, in die Welt des Kunden einzutauchen, wird er mir am Ende um den Hals fallen. Schaffe ich es nicht, wird der Preis entscheiden. Dann bin ich mit meinem Angebot austauschbar.
Das ist mein Ansatz: Tauchen wir als Planer in die Welt des Kunden ein. Und fragen wir nach: Was ist denn für ihn die Küche? Was bedeutet für ihn der Begriff Zuhause? Braucht er überhaupt ein Homeoffice? Oder die Frau oder die Kinder für den Hausunterricht?
Es mag sein, dass künftig immer mehr Küchenspezialisten zu Experten für integrierte Homeoffice-Plätze werden. Und doch sollten sie ihre Kunden immer fragen, ob so ein Platz überhaupt gebraucht wird. Es geht um den individuellen Menschen, der im Planungsgespräch vor mir steht. Wirklich in Kontakt mit ihm werde ich nur kommen, wenn ich beginne ihm zuzuhören und die richtigen Fragen stelle.

Vielen Dank.
Das Gespräch führte Dirk Biermann


Wohnfühlerin mit Küchengespür
Mit ihrem Beratungsangebot WOHNFÜHLERIN® steht ­Susanne Krüger seit über 30 Jahren bei ihren Kunden für beherzte und achtsame Küchen- & Wohnkultur. Schon seit 1987 ist sie privat wie beruflich in der Welt der guten Küche beheimatet. Nun hat sie mit der neu entwickelten Dienstleistung KÜCHENGESPÜR® eine für den Küchenfachhandel spezielle Weiterbildung ent­wickelt. Ihr Ansatz stellt konsequent die Qualität Mensch in den Vordergrund und fokussiert sich auf eine selbstbewusste, zeitgemäße und wertige Verkaufsphilosophie. Für Handels- und Industrieunternehmen bietet ­Susanne Krüger unter dem Label KÜCHENGESPÜR® individuell abgestimmte Seminare und Vorträge sowie für Einzelpersonen begleitende Einzelcoaching.


Fortsetzung folgt
„Warum sollte ich meine Kunden verstehen lernen? Ich will doch nur Küchen verkaufen!“ Ausgehend von diesem fiktiven Einwand setzen wir das Gespräch mit ­Susanne Krüger in der nächsten Ausgabe fort. Dann geht es auch darum, was sie unter KÜCHENGESPÜR ­versteht.