21.09.2023

Oberflächen mit dem gewissen Etwas

Ist Nachhaltigkeit eine neue Disziplin? Manchmal scheint es so. Aber das stimmt nicht. Das zeigt beispielhaft die Galvanik von Kesseböhmer. Die Anlage zählt auch unter Umweltgesichtspunkten zu den leistungsfähigsten in Europa. Und das nicht erst seit gestern.

Mit galvanisch beschichteten Oberflächen sind viele exklusive Optiken möglich: Diese wurde kürzlich auf der Interzum gezeigt. Es handelt sich um ein schwarz glänzendes Chrom mit grün lasiertem Oberflächenfinish. Foto: Biermann

Blick in die Galvanik von Kesseböhmer am Standort Bad Essen-Dahlinghausen. Foto: Biermann

Seit 43 Jahren ist Hartmut Birth im Unternehmen. 1990 hat er in der Abteilung Galvanik Verantwortung übernommen, heute leitet er sie. Foto: Biermann

Die Technik dahinter: In aufwändigen Prozessen wird das eingehende Stadtwasser mehrstufig in Ionentauscheranlagen von unerwünschten Inhaltsstoffen gereinigt, die ansonsten den Fertigungsprozess stören würden. Foto: Biermann

Der Stoff, aus dem die Schrankausstattung entsteht: Bis zu 80.000 Tonnen Stahl verarbeitet Kesseböhmer in Dahlinghausen pro Jahr. Foto: Biermann

Foto: Biermann

Die galvanische Oberflächenveredelung ist für Kesseböhmer ein Kompetenzfeld, das bis in die Anfänge des Unternehmens in den 1950er Jahren zurückreicht. Bereits kurz nach der Gründung 1954 wurde die „Galvanik 0“, so die interne Bezeichnung, in Betrieb genommen. Die Firmengründer Josef und Heinrich Kesseböhmer setzten damit schon früh auf die Vorteile, die sich ergeben, wenn ein Metall mit einer dünnen Schicht eines anderen Metalls überzogen wird. Für die damals produzierten Drahtkörbe für die Kartoffelernte kam das aus wirtschaftlichen Gründen zwar nicht in Frage, wohl aber nach und nach für das zweite Standbein des jungen Unternehmens: Dekorationsständer für Ladenbau und Warenpräsentation. Und einige Jahre später in immer größerem Stil für die Ausstattung von Küchenschränken.

Drei große Vorteile
Schutz, Optik und Langlebigkeit sind die großen Vorteile der galvanischen Beschichtung. Sie schützt das Grundmaterial vor Korrosion und Oxidation und verringert die Anfälligkeit gegenüber Feuchtigkeit, Chemikalien und anderen aggressiven Substanzen. Für den Einsatz in der Küche sind auch hygienische Aspekte von Bedeutung. Eine glatte und geschlossene galvanische Oberflächenbeschichtung erleichtert die Reinigung. Es können weniger Schmutzpartikel anhaften und die Oberfläche ist oft leichter abwischbar, was zu einer verbesserten Hygiene führt. Darüber hinaus, und das ist bei der Wahl der Oberfläche oft ausschlaggebend, ermöglicht diese Technologie eine breite Palette dekorativer Optiken. Je nach gewünschtem Ergebnis können Metalle wie Kupfer, Nickel, Gold oder Chrom auf Substraten aus Stahl, Messing oder Edelstahl aufgebracht werden. Ergebnis ist stets ein ansprechendes und hochwertiges Erscheinungsbild. Die Farbgestaltung ist ebenfalls möglich.

Für das gewisse Etwas
Erst kürzlich zeigte Kesseböhmer auf der interzum 2023 in Köln Umsetzungen, wie die Schrankausstattung auf Kundenwunsch individuell gestaltet werden kann. Dazu gehört neuerdings ein schwarz glänzendes Chrom mit grün lasiertem Oberflächenfinish. Oder, schon mehrmals gezeigt, aber immer wieder beeindruckend: edle Goldoptiken.
Beispiele wie diese zeigen, wie sich mit galvanischen Überzügen das gewisse Etwas bei der Ausstattung von Möbeln realisieren lässt. Für Hersteller, die sich differenzieren wollen, bietet diese Technologie viele Möglichkeiten. Das verspricht zwar auch die Pulverbeschichtung mit ihren Farbmöglichkeiten, aber edler und exklusiver wirken galvanisierte Oberflächen. Auch die Haptik der metallischen Oberfläche spricht an. Kesseböhmer bietet beide Möglichkeiten. Wobei sich die Ausführung mit Pulverbeschichtung zunehmend als Standard im Massenmarkt durchsetzt, wie Thomas Herden, Vertriebsleiter Deutschland, berichtet. Designorientierte Unternehmen suchen jedoch oft nach exklusiveren und wertigen Oberflächen.

Vorbildliches Abwassermanagement
Längst nicht nur Küchenprodukte durchlaufen die Galvanik am Kesseböhmer-Standort Bad Essen-Dahlinghausen. Der größte Teil geht an Kunden aus der Automobilindustrie (u.a. Verblendungen für die Abgasanlagen), dem Ladenbau und dem Bürobereich/Caravaning (Geschäftsbereich Ergonomie). Die Anlage zählt zu den leistungsfähigsten in Europa. Dies gilt sowohl für die Mengen als auch für die Umwelteigenschaften. Vor allem beim Abwassermanagement setzt die Kesseböhmer-Galvanik internationale Maßstäbe. „Wir unterschreiten die Grenzwerte der Abwasserverordnung um ein Vielfaches“, berichtet Hartmut Birth, der seit 1980 im Unternehmen ist und seit 1990 Verantwortung in der Abteilung Galvanik trägt. Wie kaum ein anderer kennt er die Anlage und ihre Geschichte bis ins Detail. Die aktuelle Ausbaustufe ist seit 2017 in Betrieb. Intern heißt sie „Galvanik 3“.

Anspruchsvolle Technik
Die Technik der Anlage ist anspruchsvoll und fordert eine lückenlose Überwachung. Hier wird mit einer Reihe von Gefahrstoffen hantiert, die bei unsachgemäßer Handhabung oder Entsorgung schwere Schäden im Ökosystem anrichten können. Auch die Arbeitssicherheit muss streng eingehalten werden. Der Produktionsprozess erfordert den Einsatz von elektrischer Energie und Wasser und erzeugt Abfälle wie Spülwasser, belastete Abluft, Elektrolytrückstände und Metallschlämme. Daher kommt dem Ressourceneinsatz (Strom, Wasser) einerseits und dem Abfallmanagement sowie der Abwasseraufbereitung andererseits eine besondere Bedeutung zu. Was bei Kesseböhmer seit der Inbetriebnahme in den 1950er Jahren in bester nachhaltiger Manier gehandhabt wird. „Im Abstand von zehn Minuten wird automatisch eine Probe unseres Abwassers gezogen und die Proben täglich von der Kläranlage analysiert“, berichtet Hartmut Birth. In den vergangenen 34 Jahren, seit er die Anlage verantwortlich mitbetreut, habe es noch nie eine Störung gegeben. Und die Werte seien vorbildlich und weit unter den Grenzwerten.  

Aus Abfall wird Rohstoff
Dazu durchlaufen alle Abwasserprodukte mehrstufige Filter. Auch die Abluft wird in speziellen Anlagen gereinigt („gewaschen“). Ziel ist eine vollständige Stofftrennung. „Wir trennen alle Stoffe, die wir in die Anlage geben, auch wieder aus dem Abwasser und der Abluft heraus“, beschreibt Hartmut Birth das aufwändige Verfahren. Auf dieser Basis kann jedes Abwasser individuell weiterbehandelt und gereinigt werden. Und der anfallende Schlamm lässt sich als sortenreiner „Monoschlamm“ sogar zu rund 80 Prozent des tagesaktuellen Metallpreises in Aufarbeitungsanlagen verkaufen. Bei Mischschlämmen, also wenn keine Stofftrennung stattfindet, ist das nicht möglich, dann ist der Restschlamm Abfall, der entsorgt werden muss. „Was wir als getrennten Abfall abgeben, ist in der Aufbereitungsanlage der Rohstoff“, beschreibt Galvanik-Experte Birth das paradox klingende Prinzip, das wiederum die Kriterien einer modernen Kreislaufwirtschaft erfüllt. Und das nicht erst seit gestern.

Dirk Biermann


Wie die Galvanik funktioniert
Die Galvanotechnik ist ein Verfahren der Oberflächentechnik, bei dem Metalle mit einer dünnen Schicht eines anderen Metalls überzogen werden. Diese Beschichtung dient dem Schutz des Grundmaterials, der Verbesserung der optischen Eigenschaften oder der Veränderung der elektrischen Leitfähigkeit. Die Galvanotechnik beruht auf dem Prinzip der Elektrolyse. Bei diesem Verfahren werden ein Elektrolyt, der positiv geladene Metallionen (Kationen) enthält, und zwei Elektroden benötigt. Die zu beschichtende Oberfläche wird als Kathode, die Gegenelektrode als Anode bezeichnet. Der erste Schritt besteht darin, den zu beschichtenden Gegenstand gründlich zu reinigen, um alle Verunreinigungen und Oxidschichten zu entfernen. Dies geschieht in der Regel durch verschiedene chemische oder mechanische Reinigungsverfahren. Nach der Reinigung wird das Werkstück in ein Elektrolytbad getaucht. Der Elektrolyt enthält Metallsalze des Überzugsmaterials, die in Wasser oder einer anderen geeigneten Flüssigkeit gelöst sind. Das Beschichtungsmaterial kann z.B. Kupfer, Nickel, Chrom oder Zink sein, je nach den gewünschten Eigenschaften des Endprodukts. Der Gegenstand wird nun als Kathode an eine Gleichstromquelle angeschlossen, während die Gegenelektrode, die Anode, ebenfalls an die Stromquelle angeschlossen wird. Durch Anlegen einer Spannung entsteht zwischen den Elektroden ein elektrisches Feld. Die positiven Metallionen im Elektrolyten werden von der Anode angezogen und wandern zur Kathode. An der Kathode nehmen die Metallionen Elektronen auf und werden zu neutralen Metallatomen reduziert. Diese Metallatome bilden eine Schicht auf der Oberfläche des zu beschichtenden Gegenstandes. Die Dicke der Schicht hängt von der Verweildauer des Gegenstandes im Elektrolyten ab.