19.09.2023

Möbelkanten aus der Kreislaufwirtschaft

Der Kreislaufwirtschaft gehört die Zukunft. Diese Aussage war auf der Zuliefermesse interzum vor wenigen Wochen allgegenwärtig. Wie das konkret umgesetzt werden kann, zeigt das Beispiel der Zusammenarbeit von Rehau und Rotpunkt Küchen.

 

Foto: Rehau

„ReTurn“: Kunden senden unverarbeitete Kantenbänder an Rehau zurück. Der Hersteller sortiert die Retouren und bereitet die Retouren zu Regranulat für neue Produkte auf. Foto: Rehau

„Raukantex evo“ basiert auf nicht-fossilen Vorrohstoffen. Es ist das erste Kantenband von Rehau mit ISCC PLUS-Zertifizierung. Dieses globale Zertifizierungsprogramm für Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie ermöglicht die Rückverfolgbarkeit entlang der gesamten Lieferkette. Foto: Rehau

„Nachhaltigkeit ist für uns kein Trend, sondern wichtiges und betriebswirtschaftlich sinnvolles unternehmerisches Handeln und Teil unserer Philosophie“, sagt Daniel Elfe-Degel, Teamleiter Produktmanagement und Nachhaltigkeitsbeauftragter für den Geschäftsbereich Interior Solutions bei Rehau. Foto: Rehau

„Rotpunkt Küchen bezieht seine Kantenbänder künftig nur noch von Rehau.“ Was auf den ersten Blick ganz simpel einen Lieferantenwechsel vermuten lässt oder die Konzentration im Bestellwesen, um bessere Konditionen zu erhalten, hat einen tieferen Hintergrund. Und der zielt auf praktische Nachhaltigkeit. Denn beide Unternehmen gestalten ihre Betriebs- und Produktionsprozesse auf vielfältige Weise immer nachhaltiger. Jeder auf seine Weise und jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten als produzierende Unternehmen mit den Schwerpunkten Kunststoff (Rehau) und Holz (Rotpunkt).
Beim Thema Möbelkante überschneiden sich die Bestrebungen der Unternehmen, den Anspruch nachhaltigen Wirtschaftens immer tiefer in die Fertigungsprozesse und in die Materialität der Produkte zu integrieren. So bezieht der Küchenmöbelhersteller nicht irgendein Kantenmaterial von Rehau, sondern die Produktlinie „Raukantex eco“. Das Besondere an diesem Kantenmaterial: Es besteht zu 50 Prozent aus post-industriellem Recyclingmaterial. „Hinsichtlich Qualität, Design, Hygiene und Verarbeitung steht sie einer klassischen PP-Kante in nichts nach“, betont Daniel Elfe-Degel, Teamleiter Produktmanagement und Nachhaltigkeitsbeauftragter für die Division Interior Solutions bei Rehau. Der identische Qualitätsaspekt war für Rotpunkt Küchen ausschlaggebend, sich der Produktlinie „eco“ in dieser Exklusivität zuzuwenden. Denn beim sensiblen Thema Möbelkante will der Küchenmöbelhersteller „keine Kompromisse eingehen“, wie Andreas Wagner, geschäftsführender Gesellschafter von Rotpunkt Küchen, unterstreicht. Praktische Erfahrungen mit der klassischen PP-Kante aus Rehau-Produktion bestehen bei Rotpunkt bereits seit vielen Jahren.

Zum Mond und zurück
Die Produktion thermoplastischer Möbelkanten hat bei Rehau eine über 60-jährige Tradition. Seit rund 50 Jahren vertreibt der Hersteller seine Kantenmaterialien unter dem Markennamen „Raukantex“. Millionen laufende Meter Funktions- und Designkanten produziert das Unternehmen davon inzwischen pro Jahr.
In Mitteleuropa setzen die Kunden im Möbelbau bevorzugt auf den Werkstoff PP (Polypropylen). Das Material wird wegen seiner Festigkeit und seiner chemischen Beständigkeit geschätzt. Zudem lässt es sich gut recyceln und so wieder in den Produktionsprozess zurückführen. Hinzu kommen im Rehau-Sortiment die Werkstoffe PET (Polyethylenterephthalat), ABS (Acrylnitril-Butadien-Styrol) und PMMA (Polymethylmetacrylat), das eine transparente Tiefenwirkung wie echtes Glas verspricht. Für die weltweiten Märkte produziert Rehau im internationalen Fertigungsverbund auch Varianten aus PVC (Polyvinylchlorid).

Unter dem Dach von „eco.protect“
Der Oberbegriff für die Nachhaltigkeitsaktivitäten im Geschäftsbereich Kanten lautet „eco.protect“. Unter diesem Dach bietet der Hersteller mit „Raukantex eco“ und „Raukantex evo“ zwei Varianten von Kantenbändern an, die nach unterschiedlichen Nachhaltigkeitskonzepten produziert werden. Hinzu kommen zwei weitere Produktlinien für die technische Verarbeitung. Als optische und funktionale Nullfuge („Raukantex pro“) und für den Möbelleichtbau („Raukantex basic edge“).

Sortenreines Rezyklat
Die erwähnte und von Rotpunkt Küchen favorisierte Produktlinie heißt „Raukantex eco“. Sie besteht, wie beschrieben, zu 50 Prozent aus Rezyklaten, die bei der industriellen Fertigung anfallen. Das so genannte Post-Industrial Material. Es wird während eines Herstellungsprozesses vom Abfallstrom separiert und sortenrein gesammelt. Rezyklate aus post-industriellen Materialien gelten daher als Werkstoffe von hoher und gleichbleibender Qualität. Dies qualifiziert sie nach strengen Eingangsprüfungen für anspruchsvolle Folgeprodukte wie Möbel- und Arbeitsplattenkanten in hygienesensiblen Bereichen wie beispielsweise Küchen. Im Gegensatz zum so genannten Post-Consumer-Material, das klassischerweise aus gemischten Haushalts- und Gewerbeabfällen gewonnen wird. Zum Beispiel aus Materialien aus dem Gelben Sack. Dieser Rohstoff eignet sich für Kunststoffprodukte, bei denen es weniger auf exakte Farbnuancen und filigrane Verarbeitbarkeit ankommt. Dazu gehören zum Beispiel Kunststoffbehälter, Pflanzkübel oder Elemente für den Außenbereich.

Weniger Rohöl brauchen
Die zweite Produktlinie unter dem Dach von „eco.protect“ heißt „Raukantex.evo“. Hier setzt Rehau auf Polymere, bei deren Herstellung nicht-fossile Rohstoffe verwendet werden. Das heißt: Für das PP-Grundmaterial der Kante wird kein zusätzliches Rohöl benötigt. Stattdessen wird beispielsweise Altspeiseöl aus der Gastronomie als nicht-fossiler Vorrohstoff eingesetzt. „Dieser Bereich entwickelt sich langsam und läuft derzeit noch mit kleineren Kapazitäten“, erklärt Daniel Elfe-Degel. Dennoch baut Rehau das Segment aus und investiert in die Prozesse. So ist „Raukantex evo“ das erste Kantenband des Herstellers mit ISCC PLUS-Zertifizierung. Dabei handelt es sich um ein globales Zertifizierungsprogramm für Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie. Die Zertifizierung ermöglicht die Rückverfolgbarkeit entlang der gesamten Lieferkette. Damit stellen Unternehmen sicher, dass die gesamte Lieferkette von der Landwirtschaft bis zum fertigen Endprodukt kontrolliert wurde.

Mit Leim, Heißluft oder Laser
Beide Produktlinien, „eco“ und „evo“, können von Küchen- und Möbelherstellern als Haftvermittlerkante verarbeitet werden. Also mit klassischer PUR-Verleimung. Oder wahlweise in der Produktlinie „Raukantex pro“ als Kantenband mit optischer und funktionaler Nullfuge per Laserverfahren oder Heißluft (Hot Air). Umgesetzt mit dem Kunststoff Polypropylen und einer „100 % klebstofffreien Funktionsschicht“.

Funktionskante für den Leichtbau
Als vierte Produktlinie ergänzt „Raukantex basic edge“ das „eco.protect“-Konzept. Dieses Kantenband wurde speziell für Möbel in Leichtbauweise entwickelt. Die Funktionskante wird unterhalb der eigentlichen Dekorkante in die Platte eingebracht und stabilisiert die dünnen Deckschichten der Wabenplatten im Radienbereich. „Raukantex basic edge“ wird laut Rehau zu 100 Prozent aus Produktionsabfällen hergestellt. Also aus Recyclingmaterial.

Kanten gehen retour
Jüngster Baustein der Nachhaltigkeitsaktivitäten der Rehau Division Interior Solutions ist das Rücknahmekonzept „ReTurn“. Es ermöglicht Kunden, unverarbeitete Kanten aus den Werkstoffen PP und ABS kostenlos an Rehau zurückzugeben, anstatt sie thermisch zu verwerten, also zu verbrennen. Rehau verarbeitet die Retouren zu neuen Produkten aus der Produktpalette. Überschüssige Kantenbänder sollten möglichst in der Originalverpackung versandt werden. Das erleichtert die sortenreine Trennung und Aufbereitung. Um den Aufwand für die Kunden aus der Möbelindustrie so gering wie möglich zu halten, übernimmt Rehau die Abholung beim Kunden und den Transport zu definierten Sammelstellen. Für die Industrie hat „ReTurn“ gleich mehrere Vorteile: weniger Entsorgungskosten, reduzierte Lagerkosten und Platzersparnis in der Logistik.
Gleichzeitig stellt das Rücknahmekonzept die Weichen für die kunststoffspezifischen Verwertungsanforderungen der Zukunft. Diese werden derzeit im Rahmen des „European Green Deal“ erarbeitet. Wesentliche Kernelemente sollen dabei das Verbot der thermischen Verwertung von Kunststoffen, die Erhöhung der Recyclingquote und der verpflichtende Einsatz von Rezyklaten in der Produktion" sein.

Meilenstein für die Kreislaufwirtschaft
Für Daniel Elfe-Degel ist das jetzt gestartete Rücknahmekonzept ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft, die Kantenbänder langfristig im Rohstoffkreislauf hält. Dies entspreche auch dem Dreiklang, den das Unternehmen anstrebe, erklärt der Nachhaltigkeitsbeauftragte. Denn: „Ressourcen schonen, nachhaltig produzieren und Produkte beziehungsweise Rohstoffe im Kreislauf halten. Diese drei Punkte führen zu einer umweltverträglichen Wirtschaftsweise.“

www.rehau.com