Reparieren statt wegwerfen

Repartly-Gründer und Geschäftsführer Dr. Lennart Osthoff: „Wir zeigen, dass Reparieren wirtschaftlich tragfähig, ökologisch sinnvoll und technologisch machbar ist.“ Foto: Repartly
Mit dem „Recht auf Reparatur“ will die Europäische Union den Umgang mit defekten Elektrogeräten neu ordnen. Die Kernidee: Reparieren soll einfacher, günstiger und attraktiver werden. Ziel ist es, die Lebensdauer von Produkten zu verlängern und Ressourcen zu schonen. Der Gesetzgebungsvorschlag wurde 2023 vorgelegt und im Frühjahr 2024 vom EU-Parlament verabschiedet. Nach der finalen Zustimmung der Mitgliedstaaten haben die Länder zwei Jahre Zeit für die nationale Umsetzung.
Klar ist: Die neue Verordnung ist kein Appell, sondern rechtlich bindend und dabei Teil einer ambitionierten Marktregulierung. Sie verpflichtet Hersteller, bestimmte Gerätetypen so zu konstruieren, dass Reparaturen technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar bleiben. Dazu gehört die langfristige Verfügbarkeit von Ersatzteilen ebenso wie der Zugang zu Reparaturanleitungen. Und das nicht nur für autorisierte Servicepartner, sondern auch für unabhängige Werkstätten. Wer die Vorgaben ignoriert, riskiert Bußgelder und Abmahnungen. Hinzu kommen Imageschäden. Sanktionen sollen laut EU „wirksam und abschreckend“ sein. Über deren Ausgestaltung entscheiden die Mitgliedstaaten.
Transparenter informieren
Nicht nur für die Industrie, auch für den Handel ändert sich einiges. Fachhändler müssen künftig transparent über Reparaturmöglichkeiten informieren, etwa durch ein Label am Produkt. Zudem sollen sie im Fall eines Defekts zunächst eine Reparatur anbieten, bevor zum Ersatz geraten wird. Ergänzend entstehen neue Anforderungen an Rücknahme, Beratung und Vermittlung. Was das alles für die Küchenbranche bedeutet? Darüber haben wir mit Dr. Lennart Osthoff gesprochen. Er ist Gründer und Geschäftsführer des Gütersloher Reparaturdienstleisters Repartly.
Herr Dr. Osthoff, das „Recht auf Reparatur“ ist in aller Munde. Aber viele wissen gar nicht, was genau dahintersteckt. Worum geht es bei der neuen EU-Richtlinie konkret?
Die neue Richtlinie soll Reparaturen für Verbraucher insgesamt unkomplizierter und günstiger machen – auch Reparaturen von älteren Geräten. Durch eine längere Lebensdauer von Produkten wird Elektroschrott vermieden, der Geldbeutel der Verbraucher geschont und ein nachhaltiger Konsum gefördert. Um das zu erreichen, verpflichtet das Gesetz unter anderem die Hersteller, Ersatzteile und Reparaturinformationen verfügbar zu machen. Auch über die Gewährleistungsfrist hinaus.
Welche Produkte sind davon betroffen?
Aktuell gilt die Richtlinie für Haushaltsgeräte, Staubsauger, Fernseher und Monitore, Smartphones und Tablets, Laptops, Server und Speichergeräte sowie Beleuchtung. Weitere Geräte sollen folgen. Sicher auch weitere Einbaugeräte für die Küche.
Was bedeutet das für den Alltag der Verbraucher?
Wenn ein Gerät kaputtgeht, haben Verbraucher künftig bessere Chancen, es tatsächlich reparieren zu lassen, statt es ersetzen zu müssen. Und sie haben ein Recht auf transparente Informationen etwa zu Preisen, Reparaturdauer und verfügbaren Serviceanbietern.
Wie bewerten Sie diesen politischen Impuls? Ist das der große Wurf. Oder eher Symbolpolitik?
Es ist ein Anfang. Die Richtlinie schafft einen rechtlichen Rahmen, auf den sich Verbraucher und Dienstleister berufen können und der bei Industrie und Handel definitiv etwas in Bewegung bringt. Daraus kann ein echter Wandel entstehen, wenn die Marktteilnehmer auch die geschäftlichen Chancen sehen, die daraus entstehen. Damit das keine Symbolpolitik bleibt, sondern sich eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft etabliert, braucht es die Beteiligung aller im Markt.
Was ändert sich für Verbraucherinnen und Verbraucher konkret?
Sie gewinnen mehr Handlungsspielraum. Bisher ist es noch viel zu oft günstiger, ein Neugerät zu kaufen, als eine Reparatur durchführen zu lassen. Falls eine Reparatur überhaupt angeboten wird. Künftig bekommen Verbraucher ein Recht auf Reparatur innerhalb eines definierten Zeitraums, oft verbunden mit einer zusätzlichen Gewährleistung auf die instand gesetzten Teile. Das schafft Transparenz und ermutigt dazu, sich wieder für Reparatur statt Ersatz zu entscheiden.
Wo sehen Sie mögliche Stolpersteine?
Vor allem bei der Umsetzung. Wenn Ersatzteile weiter zu teuer sind oder Geräte konstruktiv nicht reparierbar, wird das Recht zur Farce. Auch die Information muss stimmen: Wer erst mühsam herausfinden muss, wo und wie eine Reparatur möglich ist, verliert schnell die Geduld. Damit das Recht wirkt, braucht es einen einfachen Zugang zu Reparaturangeboten. Im besten Fall digital, verständlich und transparent.
Wird Reparierbarkeit künftig ein Kaufkriterium?
Offenbar ist es das bereits, hört man auf die Fachhändler, die wir vor kurzem für eine Marktstudie befragt haben: Zwei Drittel betonen, dass ihre Kunden beim Neukauf darauf achten. Viele Menschen möchten nachhaltiger konsumieren, aber dazu brauchen sie natürlich auch die Möglichkeit und vor allem auch Orientierung. Das heißt: Hersteller sollten die Reparierfähigkeit von Anfang an mitdenken und sie aktiv bewerben. Wenn künftig zum Beispiel über ein EU-Label klar erkennbar ist, ob das Gerät reparabel ist, wird das den Kunden positiv beeinflussen.
Welche Rolle spielt der Fachhandel dabei künftig: Berater, Dienstleister oder Vermittler?
Idealerweise alles zusammen. Der Fachhandel ist nah am Kunden, hat technische Kompetenz und kann Reparaturen entweder selbst anbieten oder vermitteln. Damit wird er zum entscheidenden Bindeglied zwischen Kunde und Hersteller. Aber dafür braucht er die richtigen Werkzeuge: Zugang zu Ersatzteilen, technische Informationen, faire Preise. Und die Unterstützung der Industrie.
Viele Händler fürchten, mit den neuen Anforderungen allein gelassen zu werden. Ist das berechtigt?
Man kann es nicht oft genug sagen: Kreislaufwirtschaft funktioniert nur gemeinsam. Wir wissen aus der Befragung für unseren Repartly Service-Check, dass Händler mit eigenem Reparatur-Service neben dem Fachkräftemangel derzeit vor allem beklagen, dass Geräte aufgrund ihrer Konstruktion nicht reparabel und die Kosten für Ersatzteile zu hoch sind. Eindeutig Themen, bei denen die Hersteller als Partner gebraucht werden. Doch leider glaubt weniger als ein Viertel der Händler daran, dass die Industrie aufgrund des kommenden „Rechts auf Reparatur“ in diesen Bereichen nach neuen Lösungen suchen wird.
Wie Sie sagen: Hohe Ersatzteilpreise und schwer reparierbare Geräte sind häufige Kritikpunkte. Warum tut sich die Industrie so schwer?
Weil das bestehende, traditionelle Geschäftsmodell oft auf Ersatzkauf ausgelegt ist. Reparierbarkeit war lange kein Designziel. Die Produktion ist auf Effizienz und Stückzahlen optimiert, nicht auf Modularität oder Zugang. Die hohen Kosten für Ersatzteile sind auch durch hohe Lagerkosten bedingt, weil die Hersteller für zigtausend verschiedene Modellvarianten unterschiedlichste Elektroniken bereithalten müssen, die erfahrungsgemäß fehleranfälliger sind und bislang so gut wie nie repariert werden. Die neue Richtlinie konsequent umzusetzen, erfordert von der Industrie ein wirkliches Umdenken.
Wo sehen Sie die größten Hürden für die Hersteller?
Genau in diesem notwendigen Umdenken und der daraus folgenden Umstellung der Prozesse. Reparaturfreundlichkeit muss ins Pflichtenheft der Produktentwicklung. Das bedeutet neue Anforderungen an Konstruktion, Logistik, Support und auch an die Markenstrategie. Wer das Thema einfach nur irgendwie verwaltet, wird in Erklärungsnot geraten.
Was müsste von Industrieseite passieren, damit das Recht auf Reparatur praktikabel wird?
Es braucht vor allem das Verständnis, dass Reparierbarkeit ein attraktiver Markenwert ist. Gerade für europäische Hersteller kann das zum echten Wettbewerbsvorteil gegenüber asiatischen Marken werden, wenn man zum Beispiel fehleranfällige Elektroniken betrachtet. Da asiatische Marken die Elektroniken ihrer Geräte meist vergießen, ist eine Reparatur dieser Bauteile kaum möglich – es muss auf jeden Fall ausgetauscht werden. Wenn diese Bauteile jedoch repariert werden, reduziert sich für die Industrie auch die notwendige Menge zu lagernder Ersatzteile. Darin steckt also nicht nur eine positive Botschaft für die Verbraucher, sondern auch die Chance auf eine erhebliche Kostenreduktion bei der Lagerhaltung.
Wie lässt sich Reparatur im Handel wirtschaftlich tragfähig organisieren?
Die Nachfrage nach Reparaturen ist groß, wie uns die Fachhändler gerade bestätigt haben. Aber die Werkstätten kämpfen mit dem Mangel an qualifizierten Fachkräften. Plattformen wie unsere setzen genau hier an: Wir bieten auf unserer Website nicht nur eine digitale Fehleranalyse für eine Vielzahl an Markengeräten, sondern reparieren in unserer innovativen, teilautomatisierten Reparaturstrecke eingeschickte elektronische Bauteile in wenigen Tagen zum Fixpreis. Daraus ergeben sich für unsere Handelspartner attraktive Margen.
Was sind die größten Chancen, die das neue Recht bietet?
Ein Kulturwandel im Umgang mit Technik. Wenn Reparieren zum Standard wird, entstehen neue Geschäftsmodelle und damit neue Jobs. Von erfolgreicher Kreislaufwirtschaft profitieren alle – die Verbraucher ebenso wie die Industrie, der Fachhandel oder auch die Recycling-Unternehmen. Vor allem aber profitiert die Umwelt.
Welche neuen Geschäftsmodelle sehen Sie im Reparaturumfeld entstehen?
Refurbishment ist ein großes Thema. Also die professionelle Aufbereitung und Wiederverwendung von Geräten und Bauteilen. Auch Diagnoseplattformen, Service-Abos oder modulare Systeme werden an Bedeutung gewinnen. Der Markt ist in Bewegung. Wer flexibel ist, wird ihn mitgestalten.
Was muss jetzt konkret passieren, damit die Richtlinie Wirkung entfaltet?
Die Umsetzung in nationales Recht muss konsequent erfolgen, denn Handel und Dienstleister brauchen verlässliche Rahmenbedingungen. Und die Industrie muss mitziehen. Nicht nur mit Lippenbekenntnissen, sondern mit konkreten Maßnahmen und in Kooperation mit dem Handel. Wenn das gelingt, kann das Recht auf Reparatur zum Wendepunkt werden.
Zum Unternehmen
Repartly ist seit 2021 als innovativer Reparatur-Dienstleister für Haushalts- und Elektrogeräte am Markt aktiv. Das Unternehmen mit Sitz in Gütersloh bietet über seine cloudbasierte Plattform eine detaillierte Fehlerdiagnose und die Reparatur von elektronischen Bauteilen an, die dank automatisierter Prozesse mit kollaborativen Robotern schnell und kostengünstig instandgesetzt werden. Darüber hinaus stellt das Unternehmen dem Markt erstmals „preislich attraktive“ generalüberholte Elektroniken als Alternative zu fabrikneuen Ersatzteilen zur Verfügung.