14.08.2024

Die deutsche Hausgerätebranche hadert damit, ihre Rolle in der Krise zu finden. Das kratzt an der Glaubwürdigkeit – und stellt so manches Markenversprechen auf den Prüfstand.

Einbaugeräte werden zunehmend als High-End-Produkt in Szene gesetzt. Foto: Bora

Die Innovation „Solitaire – The Waterbase“ ist ­Geschichte: Anfang Mai 2024 wurde die Produktion ­seitens der BSH gestoppt. Foto: BSH

Lange Zeit saßen viele Geräteproduzenten mit ihrer Kundschaft am Tisch – natürlich in gehobener Wohn­um­ge­bung. Foto: Siemens Hausgeräte

Dicke Luft im Luxussegment: Alle drängen auf die Pole Position – aber selbst dort drehen sich nicht alle Produktinnovationen. Auch die Markteinführung des Wäsche­schranks „Aerium“ wurde verschoben. Foto: Miele

Siemens Hausgeräte hat sich unlängst ein neues Markenimage zugelegt: Weg von technisch stilisierten Produktbildern, hin zur Wohlfühlatmosphäre im modernen Küchenalltag. Damit strebt die breit aufgestellte Gerätemarke nicht mehr nur allein mit ihrer „studioLine“ den Sprung in exklusive Küchenräume an. Vielmehr soll das gesamte Markenbild von der eleganten Strahlkraft profitieren.
Auch Konzernschwester Neff setzt auf Menschen als Markenbotschafter. Als urbaner Sidekick lief der Produzent mit seiner kreativen Bildwelt bislang vor allem bei einer jüngeren Zielgruppe zur Hochform auf. Mit dem großangelegten Launch der „Neff Collection“ 2024 will das Unternehmen nun allerdings bewusst ins Premiumsegment vorstoßen.
Das begehrliche Streben nach einer „Pole ­Position“ im Küchenhandel ist nachvollziehbar – und doch nicht immer konsistent mit Konsumklima und Absatzmarkt. Mit ihren erweiterten oder neu formulierten Ansprüchen stehen nämlich weder Siemens noch Neff alleine da. So ist beispielsweise auch V-ZUG im Kreis der Etablierten angekommen. Innerhalb weniger Jahre hat sich die Schweizer Hausgerätemarke eine Position als Luxus­label außerhalb der Schweizer Grenzen verschafft. In Deutschland ist der Hersteller in nunmehr vier Showrooms vertreten, alle in wohlsituierter Lage. Bora setzt wiederum als „Emporkömmling“ im Vollsortimentsbereich seine anspruchsvolle Preispolitik von Dunstabzug bis Dampfbackofen seit Anbeginn durch. Auch berbel, Spezialist für den fettfilterfreien Dunstabzug, sieht sich trotz erheblicher Einbrüche im vergangenen Jahr weiterhin als Marke für den gehobenen Anspruch.
Und Gaggenau und Miele? Die sind als langjährige Premiumgerätehersteller ohnehin fest in der globalen Markenlandschaft verankert. Die Liste der Gerätehersteller mit Ambitionen oberhalb der gut situierten Mitte ließe sich um etliche Namen ergänzen und hört sicher nicht bei Liebherr oder Falmec auf. Doch die breit angelegte Blickrichtung auf Premium und Luxus hat Folgen: Die Vielzahl an Akteuren im Hochwertsegment der Küche limitiert den Marktanteil des Einzelnen an der ohnehin spitzen Zielgruppe. Das wirft unweigerlich die Frage auf, wie viel „Masse“ die Klasse verträgt –
und wie die Kommunikation zum Kunden in Krisenzeiten aussehen kann und darf. Um so manches Luxusprodukt ist es bereits still geworden.

Kostspieliges Extra
So hat beispielsweise Miele die Kampagne für den Wäschepflegeschrank „Aerium“ vorerst aufs Eis gelegt. Das Gerät sollte als Konkurrenz zum „Refresh ­Butler“ von V-ZUG im zweiten Quartal 2024 auf den Markt kommen. Eines der stichhaltigen Argumente von ­Miele: Mit rund 4000 Euro Anschaffungspreis wird der „Aerium“ etwa 75 Prozent günstiger angeboten als das „swiss made“-Produkt. Dennoch handelt es sich um ein kostspieliges Extra. Vor wenigen Jahren, 2021 oder 2022, hätte dieser Schrank, der mit Dampf und Duftflakons arbeitet, um Kleidungsstücke abseits von Waschmaschine und Trockner behutsam zu reinigen und aufzufrischen, mutmaßlich noch den Zeitgeist der Küchen- und Hausgerätebranche getroffen. Vielleicht wäre dessen Lancierung, ob erfolgreich oder nicht, sogar in den anderen guten Nachrichten untergegangen, die Miele im Monatstakt veröffentlichte: Dreimal hintereinander vermeldete der Konzern das beste Geschäftsjahr in seiner Firmengeschichte, dazu ein „Allzeithoch beim Personal“, entscheidende Schritte beim Erreichen des selbstgesteckten Klimaziels und allein 29 zusätzliche Markenstores im Geschäftsjahr 2022. Mit dem „Miele Aerium“ wäre es dem Konzern wohl einmal mehr gelungen, sich mit einem außergewöhnlichen Produkt in den Fokus des High End-Haushalts zu schieben.

Veränderte Rahmenbedingungen
Stattdessen wurde die Markteinführung verschoben und der Gerätehersteller ist, ausgerechnet im 125. Jahr seines Bestehens, ins Visier der Regional- und Wirtschaftspresse geraten. In den vergangenen Wochen hagelte es heftige Kritik. Die Gründe ranken sich um angekündigte Produktionsverlagerungen und einhergehend um Stellenabbau und Stellenverlagerung. 2700 Arbeitsplätze sind vom „Effizienzprogramm“ bei Miele weltweit betroffen. Davon entfallen allein in Deutschland 1300 Jobs. Der Personalabbau sei, neben weiteren Einsparungen bei Material- und Sachkosten sowie einer Straffung interner Strukturen, dringend notwendig, unterstreicht die Geschäftsleitung: 2023 verzeichnete das Familienunternehmen weltweit einen vorläufigen Umsatzrückgang von rund neun Prozent. Bei den verkauften Stückzahlen betrage der Rückstand zum Vorjahr etwa das Doppelte, gibt das Unternehmen an – und weicht damit konkreten Zahlen aus. Deutlicher wird Miele hingegen in seiner Zukunfts­prognose. „Was wir derzeit erleben, ist keine vorübergehende Konjunkturdelle, sondern eine nachhaltige Veränderung der für uns relevanten Rahmenbedingungen, auf die wir uns einstellen müssen“, lässt der Premiumgerätehersteller seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen. 700 Stellen werden allein für die Waschmaschinen-Montage vom Standort Gütersloh ins polnische Ksawerów verlagert. Hier wird seit 2019 ein Einstiegsmodell der Marke produziert, mit dem Miele an seiner Wettbewerbsfähigkeit im Segment der Wäsche­pflege festhält. Bis 2027 sollen dort zukünftig fast alle Waschmaschinen für den Privathaushalt sowie „produktionsnahe Bereiche“ zusammengesetzt werden. Ob das auch für den „Aerium“ gilt, der vom österreichischen Maschinenbauer ­Wintersteiger gefertigt wird, blieb auf Nachfrage bislang unbeantwortet.

Luxus auf dem Prüfstand
Ähnlich wie Miele ringen auch andere deutsche Hausgerätehersteller in diesen Tagen um die Deutungshoheit ihrer Markenidentität. So muss sich die BSH, die sogar rund 3500 Stellen in den kommenden drei Jahren streicht, die Frage gefallen lassen, wie Premium und Personalabbau zusammenpassen. Oder ob jene personellen Einschnitte nicht bereits früher hätten getroffen werden können – im kontrollierten Rahmen und mit Augenmaß?
Die derzeit schwächelnden Absatzzahlen zwingen den Großkonzern bereits jetzt dazu, den markenbasierten Luxus auf den Prüfstand zu stellen. So hat die BSH unlängst ihr Vorzeigeprodukt „Solitaire – The Waterbase“ vom Markt genommen: Die Produktionsbänder für das Gerät, bestehend aus Armatur, Spüle und Systemkorpus, stehen seit Anfang Mai still. Der Rückbau der Produkte hat bereits begonnen. Erst knapp zwei Monate später machte die Meldung in der Küchen­branche die Runde.
Als besonders bittere Pille dürfte die BSH als bis dato größten Hausgerätehersteller Europas die Nachricht ereilt haben, dass sich mit „Beko Europe“ durch die Übernahme des europäischen Whirlpool-Geschäfts in den Mutterkonzern Arçelik ein neuer „Big Player“ mit entsprechender Marktmacht gebildet hat. Darf man den Zahlen Glauben schenken, scheint das Unternehmen mit Sitz in Istanbul der Krise vorerst zu trotzen.

Susanne Maerzke


Kommentar
Kommunikative Kehrtwende

Nahbar, nachhaltig, authentisch? Immer mehr Gerätehersteller wollten in den vergangenen Jahren mit ihrer Kundschaft an einem Tisch sitzen: Als Marke von nebenan, die nicht nur ein Produkt, sondern einen Lebensstil verkauft. Als Unternehmen, dem die gesunde Ernährung seiner Klientel mindestens so am Herzen liegt wie eine Produktion im Einklang mit der Umwelt. Und als Hersteller, dessen Geräte einen ganz erheblichen Beitrag zur Wertigkeit eines Küchenraums beisteuern – nicht nur technologisch, sondern auch ästhetisch.
Vielsagend ist mittlerweile allerdings das, was nicht zur Sprache kommt: Luxusprodukte, die plötzlich nicht mehr en ­vogue sind. Werkshallen, die ins Ausland verlagert werden, trotz „Made in ­Germany“ als Marken­claim. Auch die Nachhaltigkeit als Überthema hat längst Kratzer bekommen. Kaum jemand sei derzeit bereit, für ein grünes Gewissen mehr Geld auszugeben, heißt es hinter vorgehaltener Hand in der Industrie. Stattdessen lenken PR-Beauftragte den Blick auf die Energieeffizienz von Küchengeräten: (Strom) Sparen kommt schließlich nicht nur der Umwelt zugute, sondern auch dem Geldbeutel der ­Verbraucher.
Die spürbare Stille, die bei Produkten wie dem „Aerium“ und der Systemlösung ­„Solitaire – The Waterbase“ zu beobachten sind, stehen dem selbstbewussten Sendungsbewusstsein der Branche aus den vergangenen Jahren entgegen. Der wahrnehmbare Knick in der Unternehmenskommunikation lässt die Halbwertszeit fragiler Markenversprechen zutage treten.
Die kommenden Monate dürften eine entscheidende Rolle im Auftreten, aber auch in der Ausrichtung einiger Gerätehersteller spielen. Es gilt, den schwierigen Spagat zwischen Qualitätsanspruch und Produktabsatz zu meistern – und sich dabei Vertrauen und Rückhalt von Kunden- wie von Mitarbeiterseite zurückzuerobern. Das geschieht vor allem über Transparenz. Bernd Schreiber, Betriebsratschef vom Güters­loher Miele-­Stamm­werk, pocht in einem Gespräch mit der FAZ auf offene Worte seitens der Konzernleitung: „Der Umfang des Stellenabbaus (…) wäre ein De­saster für die Menschen, die Miele großgemacht haben. Eine geräuschlose Abwicklung wäre der Situation in keiner Weise angemessen.“

Susanne Maerzke



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