16.09.2022

Nach reduziert kommt unsichtbar

Im Gespräch mit dem Kölner Industriedesigner Stefan Ambrozus zu den Entwicklungen in der Küche und den Möglichkeiten und Herausforderungen, die die Ansprüche an Reduktion und Integration der Technik mit sich bringen.

Stefan Ambrozus (Foto rechts) zusammen mit berbel-CEO Karl von Bodelschwingh auf der Bühne des red dot 2022. Die besondere Freude resultiert aus dem „best of the best“-Award für die Muldenlüftung „Downline Infinity“. Foto: berbel / © Red Dot

Inhaber und Industriedesigner Stefan Ambrozus (Foto) arbeitet in seinem Designstudio im Belgischen Viertel in Köln mit fünf weiteren Designerinnen und Designern zusammen. Hinzu kommen externe Fachleute im Sinn einer verlängerten Werkbank, wenn es um Spezialdisziplinen geht wie beispielsweise Digitalthemen oder 3-D. Foto: Ambrozus Design

Design wird oft mit Optik und Haptik gleichgesetzt. Mit dem, was das Auge sieht und die Hände spüren. Damit kennen sich Stefan Ambrozus und sein Team auch aus. Die Beschäftigung reicht aber tiefer. Bis hinein in die Technik von Möbeln, die Steuerung von Geräten und die daraus resultierenden industriellen Prozesse in der Fertigung.

KÜCHENPLANER: Die Küchenbranche ist für das Studio Ambrozus ein wichtiger Tätigkeitsbereich. Für wen sind sie aktuell tätig?
Stefan Ambrozus: Wir arbeiten mit Unternehmen aus den Bereichen Geräte, Möbel und Licht zusammen. Das sind zum Beispiel berbel und die berbel-Mutter Wesco. Aber auch Grass, Häcker Küchen, Kesseböhmer und Hera. Mal handelt es sich um in sich abgeschlossene Projekte, mal reicht die Zusammenarbeit viel tiefer und läuft permanent. Wie bei berbel. Hier stammt das gesamte Produktprogramm von uns. Es gibt kein berbel-Produkt, das wir nicht gestaltet haben.

Also im Stil einer externen Designabteilung?
Ja, und das schon seit gut 12 Jahren. Es ist eine außergewöhnliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die uns mit berbel verbindet. Wir sind eng eingebunden, und die Arbeit reicht in Einzelfällen über das Produktdesign hinaus. Bis in den Messebau oder die Gestaltung der Service-Fahrzeuge. Was auch für die Muttergesellschaft von berbel gilt, die Wesco AG in der Schweiz. Grundsätzlich ist der Messebau kein eigenständiger Bereich unseres Studios. Aber wenn die Zusammenarbeit so intensiv ist wie mit berbel und Wesco, bietet sich das im Rahmen einer ganzheitlichen visuellen Kommunikation an. Und das macht die Zusammenarbeit auch so spannend und vielfältig.
Eine lange Tradition verbindet uns auch mit Grass. Jüngste Entwicklungen, an denen wir beteiligt waren, sind zum Beispiel das Schubkasten-System „Vionaro V8“ mit der extrem schmalen 8-mm-Zarge, das doppelwandige Auszugsystem „Nova Pro Scala“ und das fast unsichtbare Scharnier „Tiomos Hidden“. Im Bereich Möbel machen wir auch immer wieder Projekte mit Kesseböhmer und Häcker.

Dunstabzug, Auszüge, Scharniere – Möbeltechnik generell: Das sind anspruchsvolle und hochkomplexe Themen. Welchen Teil steuern sie bei?
Wir sind komplett involviert. Das können wir, weil wir Technik und industrielle Prozesse denken können. Man kann solche Themen nicht machen, wenn man nur an der Oberfläche kratzt und rein formalistisch herangeht.

Dann sind Sie als Designbüro also nicht die klassischen Trendgestalter?
Nicht, wenn es um die reine Optik zum Beispiel der Küchenmöbel geht. Ob in dieser Saison Cremeweiß oder Schneeweiß wichtig ist, gestalten wir nicht.

Mit welchen Themen über Küchengeräte und Möbeltechnik hinaus beschäftigen Sie sich noch?
Licht ist ein weiteres starkes Thema. Mit Zumtobel als größten und international agierenden Konzern-Kunden. Projekte machen wir aber auch mit mittelständischen Unternehmen wie Hera und Licht im Raum. Hinzu kommen Outdoor-Produktthemen für private, gewerbliche und öffentliche Räume wie Verschattung oder die Möblierung im öffentlichen Raum. Einzelne Technikthemen auf Projektbasis für Maschinenbau und Robotik, unter anderem in der Energieversorgung und der Medizintechnik, runden unsere Aktivitäten ab.

Das ist eine breite Auswahl mit sehr unterschiedlichen Themen. Empfinden Sie diese Vielfalt eher als förderlich oder nervt die Themenbreite manchmal?
Ich finde es spannend zu sehen, wie sich Bereiche und Branchen gegenseitig befruchten. Und welche Synergien sich daraus ergeben. Das ist der Grund, warum wir thematisch eine gewisse Bandbreite wahren.

Haben Sie ein Beispiel?
Das Thema Licht. Was Lichttechnik angeht, ist die Küchenbranche im Moment noch auf einem Low-Level unterwegs. Wenn wir ein Lichtprojekt mit Zumtobel mache, arbeiten wir mit zahlreichen verschiedenen Ingenieuren zusammen. Aus dieser Zusammenarbeit lässt sich viel mitnehmen und auf andere Produktanwendungen übertragen. Es gibt immer Transfer-Leistungen. Zudem sind die Licht- und die Küchenbranche anders getaktet und haben unterschiedliche Schnelligkeiten. In der Arbeit mit den Lichtspezialisten sehen wir Entwicklungen frühzeitig und wissen, wohin die Reise geht. Licht als Gestaltungsaspekt wird überall immer wichtiger. Damit lassen sich interessante Sachen machen. Aber ich sage auch ganz klar: Es muss bezahlbar bleiben und die Primärfunktionen müssen im Mittelpunkt bleiben. Bezogen auf die Zusammenarbeit mit berbel heißt das: Erst kommt der Dunstabzug nach oben oder unten und erst dann die Ad-Ons.

Aber ein Muldenlüfter mit integrierter Beleuchtung wäre doch ein Riesending.
Das wäre es. Lassen wir uns überraschen …

Dann grundsätzlicher gefragt: Die Integration von Licht – dürfen wir uns hier auf besondere Entwicklungssprünge einstellen?
Die Integration der LED-Technik ist im Vergleich zu früher sehr viel einfacher geworden. Hinzu kommen die barrierefreien Möglichkeiten der Steuerungstechnik. Deshalb denken wir massiv in Kombinationen.

Die Antwort ist also ein klares Ja?
Genau. Wie das dann aussehen wird, darüber können wir gespannt bleiben.

Zum Stichwort Langfristigkeit: Gehen einem als Designer nicht die Ideen aus, wenn man sehr lange für ein bestimmtes Unternehmen arbeitet?
Als ich frisch von der Uni kam, habe ich tatsächlich so ähnlich gedacht. Doch es ist ganz anders. Weil ja nichts bleibt, wie es ist. Zum Beispiel der Paradigmenwechsel bei Dunstabzugshauben in den letzten Jahren. Früher waren sich alle einig: Es dominierte die Idee, die Luft nach oben abzusaugen und im Abluftmodus nach draußen zu leiten. Heute möchten die Kunden einen unverbauten Luftraum über der Insel-Kochfläche haben und die Kochwrasen nach unten absaugen. Umluft ist aus verschiedenen Gründen aktueller denn je. Da muss man als Entwickler beweglich im Kopf sein. Ganz praktisch bedeutet das: berbel war und ist Spezialist für den Dunstabzug. Heute gehören auch Kochfelder dazu und wir haben beide Bereiche miteinander vernetzt. Technologisch verändert sich die Kochstelle mit Heizen und Absaugen permanent und wird dabei immer komplexer. Spannende Entwicklungen gibt es zum Beispiel bei User Interfaces (Benutzerschnittstellen, Anm. d. Redaktion). Funktionen lassen sich vorkonfigurieren, Lichtstimmungen erzeugen … der Kontext verändert sich fortlaufend. Damit stellen sich von ganz allein immer neue Aufgaben. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, es ist weder langweilig noch gehen die Ideen aus.

Apropos Ideen: Welche neuen Trends dürfen wir in der Küche nach der Eurocucina erwarten?
Ich sehe im Moment keine großen Veränderungen. Die Pandemie hat viele Themen eingebremst, die jetzt erneut dargestellt werden. Meist noch vertiefter. Als hätten sich die Anbieter gesagt ‚Komm, jetzt legen wir nochmal eine Schippe drauf‘. Wir sehen also weiterhin eine gewisse Trendvielfalt. Viel Industrial, aber auch stark reduzierte und monolithische Lösungen. Und auch massiv opulente Designs. Grundsätzlich scheint es spielerischer zu werden, der Griff kehrt auch langsam wieder zurück.

Man sagt: Trends dauern etwa 7 bis 8 Jahren. Jetzt sind wir schon einige Jahre mit vielen dunklen Farben unterwegs. Sehen Sie schon eine Trendwende?
Der Zenit für die dunklen Themen ist noch nicht erreicht. Auch wenn ich persönlich den Eindruck habe, dass es gesättigt sein müsste. Beim Zubehör und im Umfeld bleibt Mattschwarz noch länger prägend. Das gilt für die Küche und auch fürs Bad. Immer wichtiger wird die Qualität der Oberflächen.

Jenseits kurzfristiger Trends: Welche grundlegenden Entwicklungen sehen Sie im Lebensraum Küche?
Ganz grundsätzlich ist wahrnehmbar, dass nicht nur die Planungen insgesamt, sondern auch die einzelnen Küchenmöbel immer wohnlicher werden. Mit tief nach unten gezogenen Fronten, die kaum noch den Sockel sichtbar lassen. Manche Umsetzung wirkt wie ein Sideobard aus dem Wohnbereich. Damit werden die Hersteller immer flexibler bei der übergangslosen Gestaltung von Lebensräumen.

Und bezogen auf die Technik und das Kochen?
Aus unserer Sicht stellen sich Fragen, wie sich das Gebrauchsverhalten in der Küche ändert: Kochen die Menschen noch? Oder wird nur noch erwärmt? Wie weit müssen wir Kochprozesse begleiten? Mit den vielen digitalen Geräten, die uns umgeben, stehen uns viele Möglichkeiten zur Verfügung.
Vor allem ist die Informationsbereitstellung viel einfacher geworden. Wenn ich als Nutzer den archaischen Vorgang des Koches als beglückend empfinde und mich auf das sinnliche Erleben konzentrieren möchte, kann ich mich dem vollständig widmen und mich beim Kochen von der Technik anleiten lassen. So kann ich fast nichts mehr falsch machen. Die Technologie reduziert Zugangshemmnisse maximal. Ich schaue in den Kühlschrank und lasse mir anzeigen, was ich mit den vorhandenen Lebensmitteln zubereiten kann. Das ist für die Gerätebranche ganz, ganz spannend. Was müssen wir da eigentlich bereitstellen? Und welche Kundenbedürfnisse müssen erfüllt werden? Um Fragen wie diese geht es, wenn es um die Entwicklung von Kochfeldern geht. Das bewegte auch schon die Entwicklung des Muldenlüfters „Downline Infinity“, für den berbel beim ‚red dot 2022‘ den ‚best of the best‘-Award erhalten hat. Dabei handelt es sich eigentlich um eine Hybridbedienung. Die Touch-Steuerung auf der Kochfläche erlaubt es, in die Tiefe der Bedienung zu gehen – und wenn ich das als Nutzer nicht will, steuere ich das Gerät über massive Knebel an der Möbelfront. Ein komplexes und benutzerfreundliches Zusammenspiel.

Geht es bei der Geräteentwicklung nicht auch darum, unterschiedliche Bedürfnislagen ein und desselben Kunden an ein und demselben Gerät abzubilden? Also unter der Woche Convenience und am Wochenende die Kochsession im großen Kreis von Familie und Freunde?
Die Digitalisierung gewährt uns diese Möglichkeiten. Damit lassen sich Zugangshemmnisse reduzieren, Ängste abbauen und Anleitungen realisieren. Das ist der Themenkomplex, auf den wir uns gegenwärtig fokussieren.

Die Gerätefunktionen werden damit wohl weiterhin immer reduzierter und versteckter.
Wir beschäftigen uns intensiv mit integrierten und integrativen Lösungen. Damit das Gerät immer weniger sichtbar ist. Der Muldenlüfter ist ein klassisches Beispiel dafür. Zu sehen ist nur die Kochfläche. Der Markt gibt da die Richtung vor. Die Stückzahlen schießen in die Höhe. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir massiv an integrierten Lösungen arbeiten. Wie zum Beispiel Dunstabzugstechnik, die komplett verschwindet und dabei wirklich unsichtbar ist. Dafür brauche ich natürlich die passende Steuerungstechnik.

Integriert und unsichtbar ist der Trend … wie sieht es mit dem Gegentrend aus, der Inszenierung des Herdes als Kochstelle?
Die integrierte Technik ist derzeit die klare Blickrichtung. Dennoch gibt es auch Kunden, die exakt das Gegenteil wollen, die die Kochstelle inszenieren möchten. Dafür bietet sich zum Beispiel eine höhenverstellbare Lift-Haube an.
Mit Muldenlüfter sind wir noch nicht am Ende der Entwicklung angekommen. Gleichzeitig denken wir auch in andere Richtungen. Es gibt schließlich viele verschiedene Kunden, Bedürfnisse und Geschmäcker.

Zählt auch die Integration der Kochfunktion in die Arbeitsfläche dazu?
Das Kochfeld ist eine Feuerstelle, die anspruchsvolle sicherheitstechnische Aspekte erfüllen muss. Dass diese Funktionen integrativer Bestandteil der Arbeitsplatte sind, ist mit erheblichen logistischen Herausforderungen verbunden.

Nur zur Vollständigkeit: Für die Möbeltechnik gilt der Ansatz von Reduzieren und Verstecken gleichermaßen?
Bei Auszügen, Klappen und Beschlägen ist das Integrative und Reduzierte nach wie vor das zentrale Thema.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ambrozus

Dirk Biermann