29.09.2022

„Etwas einfach zu machen ist wirklich schwierig“

Wie wohnen wir in Zukunft? Mit dieser Frage beschäftigt sich Andreas Enslin bereits seit vielen Jahren. Ein Blick in die Glaskugel sei dafür gar nicht nötig, sagt der Vice President Miele Design Centre. Denn es gibt zahlreiche Studienergebnisse. Miele ist für diese Zukunft gut gewappnet, so sein Fazit.

„Alltagskochen wird per Knopfdruck funktionieren.“ Andreas Enslin, Vice President Miele Design Centre. Foto: Miele

KÜCHENPLANER. 2030 ist gar nicht so weit weg. Wird sich in den nächsten acht Jahren tatsächlich Grundlegendes in unserer Gesellschaft ändern?
Andreas Enslin:
Eine der großen Herausforderungen dieser Zeit sind die unterschiedlich schnell laufenden Entwicklungen: Die technische Seite beschleunigt sich extrem, weil sich das Wissen in der Gesellschaft beschleunigt. Der Mensch hingegen ist nicht so schnell und nicht so geschickt darin, mit der daraus resultierenden Komplexität umzugehen. Insgesamt dauert es daher sehr lange, bis eine Gesellschaft sich weiterentwickelt. Dabei ist es nicht so, dass die technische Entwicklung die Gesellschaft treibt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Werte einer Gesellschaft ermöglichen technische Entwicklungen und deren Akzeptanz. Neue Techniken müssen einen Nutzen für die Gesellschaft haben, sonst werden sie nicht akzeptiert. Wir bei Miele schauen deshalb erst einmal, was die Menschen brauchen und entwickeln dann die entsprechenden Produkte, nicht umgekehrt.

Wie wirkt sich das auf die Küche 2030 aus?
Die Menschen haben sich in den letzten 10.000 Jahren kaum verändert. Das Streben nach Erfüllung der Grundbedürfnisse wie Essen, ein Dach über dem Kopf, Wärme und eine Familie existiert damals wie heute. In unserer modernen Welt ist es jedoch zum Problem geworden, sich zwischen den unterschiedlichen Möglichkeiten zu entscheiden – es gibt von allem zu viel.
Das ist auch in der Küche so. Es herrscht ein Überangebot an Geräten, Funktionen und Möglichkeiten. Die ständige Verfügbarkeit von Nahrung beispielsweise führt in unserer Gesellschaft unter anderem zu billigen Lebensmitteln und Übergewicht. In Zukunft werden wir daher lernen müssen, anders und besser zu kochen. Das gelingt mit technischer Unterstützung besonders einfach. In dieser Beziehung halte ich viel von Künstlicher Intelligenz (KI). Kochen und Esskultur sind sehr individuell und werden stark in der Kindheit geprägt. Der Anspruch an die Assistenzsysteme ist, die Möglichkeiten des Individuums zu stärken und der eigenen Kreativität Raum zu geben. Wenn sich Nutzer zum Beispiel für eine gewisse Ernährungsform wie vegetarisches Essen entscheiden, kann die Technik mit tollen Rezepten und Zubereitungsweisen wie Dampfgaren unterstützen.

Ist technische Unterstützung beim Kochen wirklich notwendig?
Heute wird ja kaum noch in den Familien gekocht. Auch in der Schule werden kaum Grundlagen zu Ernährung und Nahrungsverarbeitung vermittelt. Daher wird viel zu oft zu verarbeiteten Lebensmitteln gegriffen. Von daher halte ich technische Unterstützung beim Kochen durchaus für sinnvoll – jeder Nutzer kann ja für sich entscheiden, ob er dem Vorschlag des Geräts folgen möchte.

Wie sieht Guidance bei Kochsystemen aus? Eines Ihrer Kochassistenzsysteme wird ja gerade bei einer Wohngemeinschaft von Menschen mit Einschränkungen in der Stiftung Eben-Ezer in Lemgo eingebaut.
Wir haben 2016 auf der Mailänder Möbelmesse eine Idee gezeigt, wie Technologie eingesetzt werden kann, um Menschen entsprechend ihres Kochwissens bei der Zubereitung eines Drei-Gänge-Menüs sinnvoll und kreativ zu unterstützen. Unter diesem Leitgedanken haben wir uns angeschaut, wie Kochen eigentlich funktioniert und festgestellt, dass an vielen Stellen einfach Wissen fehlt. Hier können Assistenzsysteme ansetzen, um die Komplexität des Kochvorgangs beherrschbar und sicher zu machen. Wir lernen beim Kochen mit Menschen mit Einschränkungen wie es einfacher und besser gehen kann. Etwas einfach zu machen ist wirklich schwierig.
Im Assistenzsystem „KogniHome“ in der Küche unseres Gästehauses sind über 50 Sensoren verbaut, die registrieren, was in der Küche und beim Kochen passiert. Durch die Interaktion der Software mit den Nutzern passt sich der Prozess automatisch an das Wissen des jeweiligen Nutzers an. Mithilfe der Technik können wir die Menschen unterstützen und ihnen ein Stück Freiheit zurückgeben. Das ist einer der großen Fortschritte des Systems. Es bietet eine Erweiterung des Handlungsspielraums und damit der eigenen Kreativität.

Wie macht man die Technik „einfach“ zugänglich?
Technologie hilft nur, wenn sie durch möglichst wenige Aktionen mit unseren Kunden in Interaktion tritt. Denn Kundinnen und Kunden wollen einfach nur kochen – und nicht wissen, wie das System dahinter funktioniert.
Wir im Design Center müssen Produkte so gestalten, dass sie einfach und energiesparend genutzt werden können. Die Bereitschaft bei den Menschen ist ja da. Wir bei Miele haben eine Verantwortung gegenüber der Umwelt und der Gesellschaft, die darüber hinausgeht, einfach „nur“ ein Produkt zu fertigen, das 20 Jahre hält. Diese Verantwortung übernehmen wir bei Miele schon seit Gründung im Jahr 1899.

Wie sieht diese Verantwortung bei Miele aus?
Es ist die Haltung, die den Unterschied macht. Inhaber und Mitarbeiter sind Teil einer Gemeinschaft, die die Unternehmenswerte vertritt. „Immer Besser“ ist das Motto bei Miele seit über 120 Jahren. Und dieses Motto ist auch für unsere Lieferanten und Dienstleister ein Versprechen. Wie haben eine soziale Verantwortung und arbeiten miteinander – nicht gegeneinander. Nach wie vor ist die Lebensdauer von Produkten ein wichtiger Hebel beim Thema Nachhaltigkeit. Die Produktion macht bei den Waschmaschinen beispielsweise 15 Prozent des gesamten CO2 Footprints aus – der Gebrauch dann die übrigen 85 Prozent. Miele Waschmaschinen erfüllen die höchsten Ansprüche an Energieeffizienz – was verbunden mit der Auslegung auf eine lange Nutzungsdauer einen riesigen Hebel auf die Nachhaltigkeit hat. Auch die sparsamste Waschmaschine nutzt nichts, wenn immer nur schnell und heiß gewaschen wird.

Was kann ein Unternehmen noch tun?
Ich finde, dass man nicht nur die Unternehmen zu sparsamen Produkten verpflichten muss, sondern man muss auch den Kundinnen und Kunden ermöglichen, die Produkte einfacher und besser zu nutzen. Der größte Teil der Emissionen entsteht eben in der Nutzungsphase. Wenn energieeffizientes Waschen einfach ist und Spaß macht, wird auch das entsprechende Programm dazu genutzt – auch das gehört zum Job der Designerinnen und Designer. Wir wollen unsere Kundinnen und Kunden zu Mitstreitern für den Klimaschutz machen indem wir sie zum Beispiel ermuntern, Ecoprogramme zu nutzen. Darüber hinaus unterstützen unter anderem auch eine automatische Waschmitteldosierung oder Anschlüsse für Warmwasser dabei Ressourcen zu schonen. Wenn sich Kundinnen und Kunden für ein Miele-Gerät entscheiden, dann haben sie schon viel getan.

Wie kann man Nutzerinnen und Nutzer beim Kochen den Nutzer zu Mitstreitern für den Klimaschutz machen?
Zum Beispiel beschäftigen wir uns mit der richtigen Lagerung von Lebensmitteln im Kühlschrank zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung. Und es geht, wie oben schon geschildert, bis zum geführten Kochprozess, bei dem nichts mehr anbrennt. Und natürlich entsprechen Miele-Geräte auch den höchsten Ansprüchen an Energieeffizienz.

Wie sieht es mit der Reduktion der Modellvielfalt aus?
Hier muss man unterscheiden zwischen Alternativen und Varianten. So ist etwa in anderen Ländern oft die Energieversorgung eine andere. In Italien beispielsweise wird noch viel mit Gas gekocht. Da müssen dann auch die entsprechenden Alternativen und Spannungsvarianten angeboten werden.
Was die Varianten angeht, haben wir uns in den letzten Jahren deutlich eingeschränkt. Jede neue Gerätegeneration hatte weniger Varianten. Allerdings kann dafür jede einzelne Variante wieder mehr. Das wiederum bietet Vernetzungsmöglichkeiten. Vernetzbare Geräte bieten hier zunehmend die Möglichkeit, Funktionen auch mal nachzurüsten. So könnten Geräte dann aktuell gehalten und auf individuelle Bedürfnisse eingestellt werden.

Wie sieht denn Ihrer Ansicht nach die Küche der Zukunft aus? Wie in Science-Fiction-Filmen?
Das glaube ich tatsächlich. In Zukunft wird mehr zwischen Alltags- und Genusskochen unterschieden werden. Alltagskochen wird per Knopfdruck funktionieren. Foodprozessoren werden Lebensmittel erstellen und ausdrucken. Für ein Hühnchen muss kein lebendes Tier mehr geschlachtet werden. Kochen, wie wir es heute kennen, wird seltener stattfinden.
Es steht allerdings zu befürchten, dass das Natürliche die Ausnahme sein wird, weil es nicht mehr allen Menschen zur Verfügung steht. Ein echtes Stück Fleisch wird zum Luxusartikel werden, ähnlich wie eine teure Flasche seltenen Weins. Es geht heute schon - und in Zukunft erst recht darum, bewusst und respektvoll mit wertvollen Lebensmitteln umzugehen. Und dazu können wir alle beitragen. Auch ich in meiner Funktion als Designchef bei Miele.

Herr Enslin, herzlichen Dank für das Gespräch.

Sybille Hilgert

www.miele.de