22.10.2020

Küchenmeile 2020: Eine Messe ohne Blaupause ist über die Bühne. „Alles gut gegangen“, seufzen die Aussteller. Und die Onliner jubeln angesichts der Möglichkeiten des Digitalen. Und doch wünschen sich alle, dass es wird, wie es war. Doch wie könnte es das? Das Editorial aus KÜCHENPLANER 10/11 2020.

Dirk Biermann. Foto: Ostermann

Natürlich war das nicht die Küchenmeile, wie sie von vielen geliebt und manchen bestaunt wird. Kein Drücken zur Begrüßung, kein vertrauensvolles Aneinanderrücken beim Rotwein zum Feier­abend. Die Küchenmeile 2020 war nichts zum Kuscheln. Stattdessen Abstand, Handhygiene und Alltagsmaske. Das war dem Anlass entsprechend angemessen und hat durchweg gut funktioniert. Ich möchte nichts verharmlosen, doch in keiner der besuchten Ausstellung fühlte ich mich gesundheitlich gefährdeter als beim Wochenendeinkauf im heimischen Bioladen. Und so lautet mein persönliches Fazit: Ich fand es völlig in Ordnung, dass die Hausausstellungen der Küchenmöbelhersteller und die Architekturwerkstatt geöffnet waren. Die Zahl der Besucher konnte allerorts gut gesteuert werden, und die Hygienekonzepte waren durchdacht und wurden mit Konsequenz und Disziplin eingehalten. Einzelne Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber die gibt es immer. Selbst im Bioladen.

Gleichzeitig fand ich es völlig in Ordnung, dass Fachmessen wie die area30 in diesem Jahr auf eine Hallenausstellung verzichteten. Bei mehr als 80 ausstellenden Unternehmen auf der area wäre das Besuchermanagement doch sehr schwierig zu steuern gewesen. Veranstalter Trendfairs macht seit 10 Jahren einen guten Job, doch der Festplatz von Löhne ist nicht die Koelnmesse. Die Infrastruktur dieser beiden Orte zu vergleichen, ist irregulär. Wobei natürlich auch die von Internationalität geprägte Lage in Köln ihre Besonderheiten hat. Aber das ist eine Geschichte, die an anderer Stelle erzählt werden wird.

Sofern die Veranstaltungen der Vorjahre der Maßstab waren, dürfte keiner der Küchenmeile-Aussteller zufrieden gewesen sein. Wenn nur 30 bis 50 % der üblichen Besucher anreisen, nagt das am grundlegenden Selbstverständnis einer Messe. Das basiert seit jeher auf Masse und Neukontakte. Immerhin, das melden verschiedene Unternehmen, seien zwar weniger Besucher gekommen, aber die Zahl der einzelnen Handelshäuser sei im Vergleich zu früher gar nicht so sehr zurückgegangen. Statt drei oder vier Abgeordnete eines Möbel- oder Küchen­hauses waren es in diesem Jahr oft nur zwei Personen. Oder gleich Einzelreisende. Andererseits seien viele Messegespräche intensiver gewesen.

Unter dem Strich sehnen dennoch alle die alten Zeiten herbei. Also den Stand vor Februar 2020! Doch ich frage mich: Wie soll das funktionieren? Die letzten neun Monate hat viel auf den Kopf gestellt. Die Corona-Pandemie ist mehr als ein temporäres Ereignis. Sie hat eine Schneise in unser Zusammenleben geschlagen, wie sie tiefer kaum sein könnte. Die Gesellschaft pendelt zwischen verdrängendem Wunschdenken, provokant dargebotener Sorglosigkeit und ängstlichem Rückzug. Es mag sein, dass in einigen Monaten ein Corona-Impfstoff zur Verfügung steht und dass in ein oder zwei Jahren ein Großteil der Weltbevölkerung immun gegen dieses Virus ist: Doch was ist mit den mentalen Virusfolgen? Wie wollen wir uns in absehbarer Zeit, wie auf einer Messe ‚einst‘ üblich, in teils dichten Menschenansammlungen treffen, wenn in unseren Köpfen die Gefahr-Leuchte rot aufflammt, wenn uns ein unbekannter Mitmensch zu nahekommt. Oder die Fahrt mit der U-Bahn zum Messegelände der Eurocucina. Diese Situation kommt mir beim Schreiben dieser Zeilen gerade in den Sinn. Ist es nicht so, dass wir fremde Menschen zunehmend als potenzielle und damit gesundheitsgefährdende Virenträger wahrnehmen, während wir uns im engeren Familien- und Freundeskreis recht sorglos fühlen, ganz gleich, wer wo zuvor unterwegs war? Über diese Zusammenhänge sollten wir ins Gespräch kommen, wenn wir einen gesunden Umgang mit den Gegebenheiten finden wollen. Denn das sollten wir: Das jetzt so vehement bekämpfte Corona-­Virus wird uns Menschen von nun an erhalten bleiben. Es verschwindet nicht wieder.

Und so gehe auch ich davon aus, dass ein Nebeneinander von physischer und digitaler Messe künftig Standard sein wird. Mit möglicherweise konkreten Folgen für die Zahl von Ausstellern und Besuchern. Was wiederum das Messewesen als Ganzes vor weitere große Herausforderungen stellt. Unter anderem müssen die Firmenbudgets, die früher allein in die Kassen der Messeveranstalter flossen, nun mit zahlreichen digitalen Dienstleistern geteilt werden. Mein Eindruck ist, dass wir das Thema Messe in großen Teilen neu lernen müssen, ein Einfaches zurück wird es nicht geben. Auch die jüngsten Veranstaltungen im virtuellen Raum sind erst ein Anfang – mit viel Luft nach oben.

Dirk Biermann
Chefredakteur KÜCHENPLANER online/offline