08.08.2019

Lange Zeit war das Verhältnis Mensch-Maschine klar geregelt. Der Mensch hat konstruiert, die Maschine eine oder mehrere konkrete Aufgaben ausgeführt. Keine Diskussionen, keine Eigen­mächtigkeiten. Doch nun gestatten wir der Technik Entscheidungen zu treffen. Das hat Vorteile, will aber auch gut bedacht sein.

Dirk Biermann

Die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz (KI) können faszinieren. Routinemäßige Aufgaben lassen sich automatisieren und immer anwenderfreundlicher gestalten. Einhergehen kann das mit einem Gewinn an Komfort, Effektivität, Präzision und Arbeitserleichterung in vielen Lebensbereichen. Wobei der Begriff Intelligenz in diesem Zusammenhang nicht mit dem menschlichen Selbstverständnis eines Bewusstseins verwechselt werden darf. Bei der künstlichen Intelligenz geht es um das Zusammenwirken von Hochleistungssensoren und rasanten computergesteuerten Abläufen auf Basis der Vernetzung. Das alles findet nicht von allein statt, sondern will weiterhin von einem programmierenden Menschen vorgegeben werden. Jedenfalls der definierte Startpunkt und die möglichen Optionen. Und genau diese Auswahl an Möglichkeiten kann zu heiklen Zuständen führen.

Zum Beispiel selbstfahrende Autos. Diese werden sich in einer nicht näher terminierten Zukunft in lebendigen Umgebungen bewegen und müssen reagieren können, wenn ein Hindernis vor ihnen auftaucht. Wenn beispielsweise ein Fußgänger auf die Fahrbahn tritt und das Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig bremsen kann. Für diesen Fall sind die Systeme auf ausweichen programmiert. Das wird auch hoffentlich reibungslos funktionieren. Doch angenommen, es befinden sich zwei Hindernisse auf der Fahrbahn. Von rechts stürmt eine Gruppe Kindergartenkinder über den Zebrastreifen, von links steuern mehrere ältere Menschen mit Gehhilfen altersangemessen langsam über die Querungshilfe. Wohin steuert die Technik das Fahrzeug in diesem Fall, wenn bremsen nicht mehr hilft? Was wird der Maschine an Optionen vorgegeben? Gar eine Auswahl, welche Bevölkerungsgruppe eher „verschont“ bleiben sollte? Sind junge Menschen mehr wert als alte? Oder umgekehrt?
Dieses wohlgemerkt extreme Beispiel offenbart das ethische Dilemma, vor das uns die Entwicklung der KI stellen kann. Was auch in scheinbar unbedeutenderen Situationen greift: Wer zum Beispiel beim Saugen des Teppichbodens einen Marienkäfer vor der Saug­düse entdeckt, wird höchstwahrscheinlich stoppen und den kleinen Krabbler ins Freie befördern, bevor er mit der Reinigung der Auslegeware fortfährt. Doch wie soll sich ein Saugroboter verhalten? Und sollte zwischen „niedlichen“ Marienkäfern und „ekligen“ Spinnen unterschieden werden?
Der vernetzten Maschine selbst sind solche Fragen egal. Sie hat kein moralisches Bewusstsein. Sie arbeitet wie gewohnt im Wenn-dann-Modus. Wenngleich im vernetzten Zustand mit deutlich mehr Optionen als bislang. Und dennoch wird sie sich an das halten, was ihr an Auswahlmöglichkeiten vorgegeben wurde. Für den Saugroboter heißt das: Er wird die gestellte Aufgabe (Reinigung des Bodenbelags) a) beispielsweise möglichst schnell verrichten, b) möglichst gründlich oder c) größtmöglich vorsichtig. Die Verantwortung, wie dieser Prozess gestaltet wird, bleibt beim Menschen.

Diese Beispiele mögen exotisch klingen. Sie machen uns aber darauf aufmerksam, dass wir bei aller Faszination für künstliche Intelligenz nicht nur auf die Möglichkeiten der vernetzten, selbstlernenden Technik schauen sollten, sondern auch auf das, was daraus resultieren kann. Und was wir von all dem wollen. Wir sind aufgefordert uns zu positionieren: In welchen Lebensbereichen sollen uns die automatisierten Abläufe der KI unterstützen, in welchen wollen wir die Entscheidungshoheit behalten. Das soll keineswegs die innere Abkehr von technischen Entwicklungen argumentieren. Die KI beeindruckt, keine Frage. Und sie ist in vielen Fällen praktisch. Doch die weitgehend unkritisch hingenommenen Auswüchse eines computergesteuerten Börsenhandels mahnen schon jetzt, dass nicht alle Aufgaben an Maschinen delegiert werden sollten. Die eigene Intelligenz kann bei der Unterscheidung helfen. Nutzen wir sie, solange wir noch Einfluss darauf haben.

Dirk Biermann
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