11.03.2016

Bis ins hohe Alter selbstbestimmend in den eigenen vier Wänden leben – das wünscht sich wohl jeder Mensch. Um das zu ermöglichen, wird in Ostwestfalen-Lippe an der vernetzten Wohnung der Zukunft geforscht. „KogniHome“ heißt das Projekt. Miele und Hettich machen mit.

Gestatten: Projektfamilie Becker. Im Rahmen des „KogniHome“-Projekts werden die Kochgewohnheiten der Familienmitglieder unter die Lupe genommen. Schauplatz ist das Gästehaus von Miele in Gütersloh. Foto: Miele

Sie präsentierten das Projekt zum intelligenten Wohnen (von links): Prof. Dr. Helge Ritter (Uni Bielefeld), Prof. Dr. Günther Wienberg (Bethel), Dr. Eduard Sailer (Miele) und Prof. Dr.-Ing. Gerhard Sagerer (Rektor Uni Bielefeld). Die vernetzte Wohnung soll unter anderem in Form eines ­Avatars – im Bild „Billie“ – mit den Menschen kommunizieren. Foto: Universität Bielefeld

Wie wird vorbereitet, gekocht und aufgetischt? Um taugliche Assistenzsys­teme fürs Kochen zu entwickeln, wurde im Rahmen des „KogniHome“-Projekt ein spezielles Kochseminar veranstaltet. Dabei wurden alle Details aufgezeichnet und wissenschaftlich ausgewertet. Foto: Miele

Forscherinnen und Forscher befassen sich in dem Projekt KogniHome auch mit Sensortechnik. Prof. Dr. Helge Ritter demonstriert „Myrmex“. Der Forschungsprototyp erkennt den unterschiedlichen Druck, den Objekte ausüben, die darauf platziert werden. Foto: Universität Bielefeld

Wenn es klingelt, setzt der Kochvorgang aus. Der Kühlschrank meldet sich, wenn die Milch knapp wird. Die Mikrowelle springt auf Zuruf an. Der digitale Ansprechpartner namens „Billie“ erinnert an Termine oder hilft bei der Tagesplanung. Das TV-Gerät liest das Neueste aus aller Welt vor. Der Spiegel rät zur stimmigen Kleidung, weil er weiß, wie warm es draußen ist. Oder zum Schirm, wenn es regnet. Beim Verlassen der Wohnung wird daran erinnert, welche Fenster und Türen noch offen stehen.
All das soll die vernetzte und lernfähige Wohnung der Zukunft können. Den Weg dahin ebnen will das Projekt „KogniHome“, eine Initiative unter Leitung der Universität Bielefeld, die 14 Projektpartner aus Ostwestfalen-Lippe zusammengeführt hat.
KogniHome ist bundesweit das erste Forschungsprojekt dieser Art, das die Wohnung von der Haustür bis zur Küche vernetzt. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Wobei beide Aspekte eng verzahnt sind. Während die Menschen im Durchschnitt immer älter werden, vollzieht sich zeitgleich eine rasante technologische Entwicklung.

Partner aus Ostwestfalen-Lippe
Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Und das mit acht Millionen Euro bis Ende 2017. Dabei kooperieren Wissenschaftler und Industrie sowie Sozial- und Gesundheitswesen. Geleitet wird „KogniHome“ von ­CITEC, dem Exzellenzcluster der Universität Bielefeld. Weitere Partner sind unter anderem Miele, die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, Hettich oder Hella. 30 bis 35 Menschen arbeiten für das Cluster. Einschließlich der eigenen Mittel, die von den Projektpartnern kommen, liegt das Gesamtvolumen bei 11,3 Mio. Euro.
Dass alle Projektpartner aus Ostwestfalen-Lippe kommen, ist kein Zufall, sondern war Vorgabe des Ministeriums, wie Dr. ­Helge Ritter, Verbundskoordinator von CITEC, im Interview mit der Tageszeitung Neue Westfälische berichtet. Ritter: „Es war ausdrücklich Förderformat des Ministeriums, einen regionalen Innovationscluster aufzubauen. Und da fanden wir, die Region OWL ist hervorragend geeignet. Und es ist effizient. Man kann sich mit vertretbarem Zeitaufwand häufig treffen. Wir haben einen intensiven Austausch.“ Das auf drei Jahre angelegte Projekt soll, allgemein formuliert, „Gesundheit, Lebensqualität und Sicherheit von Familien, Singles und Senioren verbessern“. Dazu wollen die an der Entwicklung beteilig­ten Industriefirmen die Ergebnisse nutzen, marktreife Produkte zu entwickeln.

Intelligent vernetzen
Die Vernetzung ist beim Projekt laut Professor Ritter die größte Herausforderung. Denn erst eine intelligente Vernetzung liefert die gewünschten Mehrwerte. Die einzelnen Komponenten müssen voneinander wissen, um sinnvoll kooperieren zu können. „Und das von der Haustür, dem Eingangsbereich bis zur Küche“, erläutert Ritter. Dieser Ansatz unterscheidet „KogniHome“ von vielen anderen Projekten, die sich häufig auf einzelne Ausschnitte spezialisieren. „Und die einen dann allein mit der Aufgabe zurücklassen, wie man diese Komponenten geeignet zusammenfasst“, fasst Ritter die Herausforderung zusammen.

Mit Sprache und Gestik
Professor Dr. Günther Wienberg, Mitglied des Vorstands der v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel, verspricht sich von den Neuentwicklungen, dass vor allem Senioren und Menschen mit Behinderung davon profitieren. „Die Technik soll ihnen helfen, ihr Leben solange wie möglich selbst im Griff zu haben“, sagt Wienberg. Dafür soll die Wohnung von ihren Nutzern lernen und sich an neue Anforderungen und Lebensphasen anpassen können. Ein Prototyp der Wohnung wird zurzeit in einem Gebäude der v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel aufgebaut.

Dezente Hinweise
Ausgestattet ist diese mit der nötigen Technik, um dezent auf mangelnde Bewegung oder Fehlhaltungen hinzuweisen und Verbesserungsvorschläge zu geben. Ebenfalls soll die Technik warnen, wenn sie feststellt, dass ihr eine körperliche Überforderung droht. Bei „KogniHome“ wird allerdings kein Service-Roboter eingesetzt, sondern die Technologien unsichtbar in das gewohnte Wohnumfeld integriert. Die Wohnräume werden mit Mini-Computern und Sensorik wie Kameras, Mikros oder Bewegungsmelder ausgestattet. Zur Steuerung von Haustür oder Kochgeräten soll nicht die beim „Smart Home“ übliche Bedienungsschnittstelle per Handy oder Tablet dienen, sondern Sprache und Gestik.

Datensicherheit „heißes Pflaster“
Neben den technischen Entwicklungen werden aber auch juristische und ethische Fragen in eigenen „KogniHome“-Teilprojekten aufgearbeitet. Insbesondere das Thema Datenschutz und -sicherheit. Denn es ist ein heißes Pflaster, wenn digitale Technik und Vernetzung auf den privaten Rückzugsort der eigenen Wohnung treffen. „Im Alltag kann man feststellen, dass dies auch Ängste auslösen kann“, weiß Sonja Friedhof, Projektleiterin „KogniHome“ Bethel, und plädiert für eine „dezente und reizarme“ Umsetzung. Kurz: Eine Technik, die einfühlsam auf den Nutzer reagiert.

Assistenzsysteme fürs Kochen
Entwickelt wird im Rahmen des Projekts auch eine „digitale Küche“. Diese soll den Bewohnern assistieren, etwa indem sie deren Kochaktivitäten begleitet, Varianten für Rezepte vorschlägt und frühzeitig warnt, falls ein Gericht anzubrennen droht. „Sie kann aber auch in der Lage sein, Zubereitungsvorlieben und -gewohnheiten der Nutzer zu speichern, um so eine Art ,personalisiertes Kochgedächtnis‘ aufzubauen“, erläutert Dr. Eduard Sailer, Geschäftsführer Technik bei Miele.
Der Forschungsansatz des Gütersloher Hausgeräteherstellers lautet, Assistenzsysteme für das Kochen zu entwickeln. Die Idee dahinter: Menschen sollen in normalen Alltagssituationen – insbesondere auch mit zunehmenden Beeinträchtigungen im Alter – schmackhafte und gesunde Mahlzeiten auf einfache Weise zubereiten können. Was so ein Assistenzsystem im Idealfall leisten soll, wurde während eines Kochseminars unter wissenschaftlicher Begleitung untersucht. Das Szenario in der Miele-Aktivküche: Zwei Probanden kochten das gleiche Rezept, einer nur anhand der Angaben aus dem Internet, der zweite unter Anleitung eines erfahrenen Kochs, der mit Tipps und Tricks zur Seite stand.

Kochprozesse ganzheitlich betrachten
Doktorranden und wissenschaftliche Mitarbeiter der Uni Bielefeld zeichneten die Kochprozesse auf und analysierten sie anschließend. Matthias Stahl aus dem Miele Design Centre und Leiter des Teilprojektes „digitale Küche“ formuliert das Ziel: „Wir möchten zunächst beschreiben, was so ein Assistenzsystem können muss und in einem zweiten Schritt einen Prototypen ent­wickeln.“ Man komme dabei von den Bedürfnissen der Nutzer, schaut die Prozesse an, die im Haushalt ablaufen, und versucht, diese zu unterstützen. Erste Erkenntnisse der wissenschaftlichen Aufarbeitung: Der Kochprozess muss von der Vorbereitung der Zutaten bis zum Auftischen ganzheitlich betrachtet werden. Um den unterschiedlichen Bedürfnissen und Erfahrungshorizonten gerecht zu werden, sollte der Kochassistent über Voreinstellungen verfügen, beispielsweise über einen Anfänger- und Expertenmodus.

Praxiseinsatz im Miele-Gästehaus
Der Prototyp des Kochassistenten wird dann in der Küche des Miele-Gästehauses in Gütersloh erprobt. Diese Küche ist bereits mit vernetzten Hausgeräten ausgestattet. Zur Weiterentwicklung des Kochassistenten wird auch eine Projektfamilie beitragen. Familie „­Becker“ umfasst Menschen aller Altersstrukturen und wird zeitweise im Gästehaus kochen. Die Miele-Produktentwickler wollen sich mithilfe von Familie ­Becker besser in die alltäglichen Problemstellungen bei der Speisenzubereitung hineinversetzen.


Kogni steht für Lernen
Das Projekt KogniHome ist Teil des Förderschwerpunktes „Mensch-Technik-Interaktion im demografischen Wandel“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Die Silbe „kogni“ steht für „lernen“. Für das Projekt arbeiten folgende Organisationen und Unternehmen zusammen: Universität Bielefeld, Fachhochschule Bielefeld, Universität Paderborn, achelos GmbH (Paderborn), v. Bodel­schwinghsche Stiftungen Bethel (Bielefeld), Bielefelder Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH, DMW Schwarze GmbH & Co. Industrietore KG (Bielefeld), Hanning & Kahl GmbH & Co KG (Oerlinghausen), helectronics GmbH (Büren), Hella KGaA Hueck & Co. (Lippstadt), Hettich (Kirchlengern), HJP ­Consulting GmbH (Borchen), Miele & Cie. KG (Gütersloh), Neue Westfälische GmbH & Co. KG (Bielefeld).