25.06.2014

Manche Besucher dürften sich wie Dreijährige bei ihrem ersten Zoobesuch gefühlt haben. Kaum hatten sie einen der pompösen Messestände der Eurocucina bestaunt, wartete schon das nächste Highlight. Die mehr als 120 Aussteller versuchten sich auch 2014 gegenseitig zu übertreffen. Mit Erfolg.

Foto: Brummel

Bei der Küche „Infinito“ setzt Toncelli kompromisslos auf Reduktion. Und auf modernste Materialen wie Carbon und verflüssigtes Metall bei der Oberflächengestaltung. Der nahtlos integrierte Touchscreen prägt den coolen Gesamteindruck zusätzlich und rundet ihn ab. Fotos: Toncelli

Macht was her: Prunkvolle Details ­dominieren die „Immagina“ (Martini). Foto: Martini

Sehr viel leichter, luftiger und skandinavischer: Die „Fjord“ nimmt den Trend zur Sockelfreiheit auf. Foto: Doimo Cucine

Die Küche „Floral“ will Hersteller L‘Ottocento als Hommage an die französische Eleganz verstanden wissen. Foto: L’ottocento

„Pampa“ ist ein Projekt von Alfrede Häberli, realisiert von Schiffini. Foto: Schiffini

Die Küche als Seele des Hauses. Das Modell „Soul“ setzt dies mit gedeckten Brauntönen, edel schimmerndem Edelstahl und einem strategisch geplanten Lichtkonzept um. (Ernestomeda) Foto: Ernestomeda

Perfekt verschmolzen: „Flux Swing“ nennt Scavolini diese spacig anmutende Verbindung von Elementen für Küche, Essen und Unterhaltung. Foto: Scavolini

Klare Absage an eine allzu ausufernde Uniformität griffloser Küchenkonzepte. Stattdesen nimmt L‘Ottocento hier den angesagten Industrial Style auf. Foto: L’ottocento

Auch Febal geht es technischer an und setzt bei der „Industrial Edition“ auf den Werkstattcharakter – gewürzt mit Retro-Elementen bei der Wandgestaltung. Foto: Febal

Und nochmal Febal: Die „Play Kitchen“ nimmts leicht und bringt Essen, Wohnen und Küchen­arbeit spielerisch zusammen. Foto: Febal

Pedini geht an die Decke – mit dem Lüfter-Regal-Element, das so auch als Raumteiler dient. Deckenhohe Regale waren viel zu sehen. Foto: Pedini

Marchi Cucine ist Spezialist für individuelle Küchen. Bar&Barman heißt diese. Foto: Marchi Cucine

Modell „Maya“ von Stosa Cucine. Foto: Stosa Cucine

Wer zu der Eurocucina nach Mailand reist, tut gut daran, sich mit einer gewissen Gelassenheit durch die Hallen 9, 11, 13 und 15 treiben zu lassen. Denn die Mailänder Küchenmesse fordert alle Sinne. Wer sich darauf einlässt, entdeckt sie tatsächlich: die Inspirationen, nach der die Branche lechzt. Wer hingegen mit der Stoppuhr in der Hand von einem Stand zum nächsten jagt, legt zwar einen formidablen Küchen-Marathon hin, wird aber mit Eindrücken überfrachtet. Die totale Reizüberflutung mit fraglichem Nährwert. Schnell wird klar: Die Eurocucina ist nicht für Ottonormalverbraucher gedacht. Ein Beispiel ist das italienische Modeunternehmen Fendi, das neben Handtaschen und Schuhen auch Möbel und eben Küchen herstellt. Der Zutritt in die Ausstellung ist nur in Begleitung möglich. Freundliches, aber bestimmendes Sicherheitspersonal achtet darauf. Wer den ersten Fuß in die Ausstellung setzt, findet sich in einer Welt voller Luxus wieder. Arbeitsplatten und Kücheninseln sind aus feinstem Mamor gefertigt. Raumhohe Schränke mit ihren Glasoberflächen wirken luxuriös. Die Fronten sind mit Leder in Krokodil-Optik versehen. Griffe aus hochwertigem Material zeigen das Fendi-Logo. Ausgestattet sind die Küchen selbstverständlich mit Geräten der Premiumklasse. ­Gaggenau & Co. lassen grüßen. Zurück in der dunk­len Messehalle bleibt das schale Gefühl: schön, unbezahlbar – und die Alltagstauglichkeit ist mehr als fraglich.

Kein Platz für Understatement
Diese Lust an der Inszenierung – genau das wollen viele Aussteller auf der Eurocucina. Sie wollen weder den Alltag widerspiegeln, noch im grauen Mittelmaß verschwinden. Nein, die Hersteller, die in Mailand ausstellen, pfeifen auf Begriffe wie „Understatement“. Sie wollen wirken. Deshalb war Fendi auch kein Einzelfall. Viele setzen auf opulente Arrangements. Mal schwer, mal mit dieser typisch italienischen Leichtigkeit. Mal klassisch, mal modern, mal futuristisch mit Rundungen wie im Raumschiff einer SciFi-Serie. Kupfer, Chrom, Vintage-Metall und vor allem Gold schimmern an Fronten, Arbeitsplattenkanten und Geräten und ziehen finanzstarke Käufer aus Asien, dem mittleren Osten und Osteu­ropa an. Mit kostspieligen Materialien, innovativen Designideen und Smart-Home-Features warten die Aussteller auf. Natürlich sind auch weiße Küchenmöbel zu sehen, aber fast immer in Farbe gebettet. Oder mit Metall und Holz kombiniert – im erdigen Industrial Style.
Vorne weg marschieren natürlich die italienischen Hersteller und Designer, die ihren Heimvorteil nutzen. So stark vertreten wie in diesem Jahr sind sie schon lange nicht mehr: Dada, Rossana, Schiffini, Pedini, Binova, Elam, Valcucine oder Scavolini sind einige davon. Dass die Italiener so stark präsent sind, hat auch mit dem Exportwachstum von sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu tun. Dagegen kämpft die deutsche Küchenmöbelindustrie im Auslandsgeschäft derzeit mit stagnierenden Zahlen.

Impulse, aber keine Trends
Da die Unternehmen vielfach Einzelstücke und keine Massenware ausstellen, sind in erster Linie Impulse zu erkennen. Trends bleiben aus. Auch deshalb, weil die Gegensätze immens groß sind. Es gibt keine einheitliche Linie. Rus­tikale Natursteinküchen (Werkhaus) wechseln sich ab mit Küchen mit aufwendig handgeschnitzten Fronttüren mit feinsten Details (­Faoma). Grifflose Hochglanz­küchen mit traditionellen Holzfronten gibt es ebenso zu sehen wie Beton- oder Stahlküchen.
Will man dennoch einen Trend erkennen, dann ist es der: dass Küche und Wohnraum noch intensiver verschmelzen als es sowieso der Fall ist. Das ist aber auch nichts Neues. Die Hersteller bringen lediglich die bereits vorhandene Strömung weiter voran. So zeigt Febal Casa genauso wie Dada oder Colombini Casa deckenhohe Regale, die als Raumteiler und gleichzeitig als Bibliothek dienen.

Vier kleine ergeben ein Ganzes
Exklusiv gestaltete und variabel zu positionierende Module erobern sacht aber wahrnehmbar die Küchenecken der Luxuslofts. Das zentrale Element eines jeden Küchen-Wohnzimmer-Mix bleibt aber immer noch der Küchenblock als Inselplanung. Von dem wurden auf der Eurocucina die verschiedensten Varianten gezeigt. So lassen sich beispielsweise Arbeitsplatten, egal ob aus Stein, Stahl, Aluminium, Melamin oder Holz, komplett vor- und zurückschieben und vergrößern dadurch die Arbeitsfläche. Darunter kommen Herdplatten, Spülbecken oder gleich beides zum Vorschein. Neue Aufbewahrungssysteme machen die Insel zum logistischen Heilsbringer. Bei der österreichischen Manufaktur Steininger bilden vier Blöcke eine Küche. Das Ensemble „rock“ feiert in Mailand seine internationale Premiere. Die Küche besteht aus vier einzelnen Modulen und wird in den Materialien Beton, Stein und Keramik hergestellt. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, die Küche selbst zusammenzustellen. Denn die einzelnen Blöcke inklusive eines Tischelementes bilden die wichtigsten Funktionen im Arbeitsablauf ab – Aufbewahren, Spülen und Zubereiten, Kochen und Essen. In Kombination bilden sie eine vollwertige, funktionstüchtige Küche. Nicht nur für Luxuslofts.

Alles ist möglich
Die Eurocucina hat auch in diesem Jahr wieder gezeigt: Die Messe ist das große Schaulaufen der Branche vor einem hochkarätigen Publikum. Und es bleibt auch 2014 wieder der Eindruck: Alles ist möglich. Wer vorher gewähnt hatte, mehr Luxus in der Küche geht nicht mehr, wurde auf der Mailänder Messe eines Besseren belehrt. Astrid Plaßhenrich


Die 20. Eurocucina
Auf der 20. Eurocucina stellten etwa 130 Küchenhersteller auf 24.800 Quadratmetern in vier Hallen ihre Produkte, Neuheiten und Programme vor. Ergänzt wurde die Eurocucina auch in diesem Jahr von der „FTK – Technologie für die Küche“ (siehe Berichte im anschließenden Hausgeräte-Teil), die zum sechsten Mal in Folge stattfand. Die Küchenschau Eurocucina wird parallel zur Mailänder Möbelmesse „Salone del Mobile“ auf dem Messegelände Rho veranstaltet. Insgesamt zählte der Veranstalter 357.212 Besucher (2012: 331.649). Davon 311.781 Fachbesucher. Die nächs­te ­Eurocucina findet im April 2016 statt.