17.04.2014

Die Trekkies unter uns wissen, wie schön das Leben sein kann. Ein einziger Computerbefehl – und wie von Zauberhand verändern sich Zeit und Raum. Nach Wunsch entspannt man sich von einer Sekunde auf die andere in der Schweizer Bergwelt, rasselt sich durch den Karneval in Rio oder diskutiert das Weltgeschehen mit einigen hellen Köpfen vor der Kulisse einer malerischen Tempelruine irgendwo in Griechenland. Das alles funktioniert natürlich nur auf dem Holodeck eines entsprechend ausgestatteten Raumfahrzeugs. Der Voyager zum Beispiel.

Bevor Ihnen vor lauter Fragezeichen ganz schwindelig wird: Trekkies sind Anhänger der Science Fiction-Fernsehserie Star Trek, und das Holodeck ist im Film ein großzügiger Raum, in dem beliebige virtuelle Welten simuliert werden können. Das funktioniert mit Holografie- und Replikatoren-Technik. Details sollen uns an dieser Stelle aber nicht belasten. Wichtig ist allein: Auf so einem Holodeck ist zwar alles digital, wirkt aber täuschend echt. Man kann die Wunschumgebung sehen, riechen, fühlen und sich frei darin bewegen.

Manchmal wünscht man sich so ein Holodeck in der realistischen Welt. „Computer: 1993, Thüringen, Küchenhandel.“ Ein derart formulierter Befehl katapultiert den Nutzer ins goldene Zwischenzeitalter der Küchenverteilung. Die Mauer ist gerade erklommen und Millionen von Menschen entdecken neue Landschaften, Lebens- und Konsumgewohnheiten. Viele davon wollen sogar Küchen, und die Industrie kommt gar nicht nach. Unermüdlich kreischen die Kreissägen durchs ostwestfälische Hügelland und selbst im Südwesten ist noch vieles gut. Im Handel muss es schnell gehen – die Kunden drängen auf Vollzug. Zeit für langwierige Planungen bleibt da kaum, und die Anfänge einer strategischen Bedürfnisforschung werden allenfalls milde belächelt.
Doch jede Blase platzt einmal. Das geht nicht nur an der Börse so. Noch bevor der letzte Grenzstreifen von frischem Grün überwuchert war, hatte sich der Küchenmarkt eingependelt. Seitdem werden in Deutschland jedes Jahr halbwegs stabil 1,1 bis 1,2 Millionen Küchen verkauft. Hinzu kommen die Kommissionen sortierter Möbelbretter von Ikea, aber die zählt niemand. Außer den Schweden selbst – doch die verraten es nicht.
Ob die Zahl der in Deutschland verkauften Küchen also unter dem Strich bei 1,3, 1,4 oder gar 1,5 Millionen Stück liegt, lassen wir mal außen vor. Fakt ist: Der Kunde ist gemein geworden und steht nicht mehr Schlange. Stattdessen studiert er Prospekte, klickt sich durch Internetseiten, vergleicht Rabatte und rechnet Mehrwertsteuersätze raus. Unangenehm ist das, aber was will man machen. Die Geister, die man rief, beweisen Sitzfleisch. Und die Googles dieser Welt kriegen zwar Internetuhren mit Briefmarkendisplay hin, aber mit dem Holodeck sind sie keinen Schritt weiter.
Der Kunde ist wieder König und will mit seiner Sicht der Dinge wahrgenommen werden. Aber das hat noch immer nicht jeder in Industrie und Handel in ganzer Tragweite realisiert. Manche scheinen gar zu denken, dass man dieses ganze Gerede von Individualität, Bedürfnissen und Lebensraum Küche am besten aussitzt. Früher hat es so etwas schließlich auch nicht gegeben. Statt mit Offenheit den tatsächlich vorhandenen Kundenwünschen nach Orientierung, Natürlichkeit, Authentizität und persönlichem Ausdruck ideenreich zu lenken und so geschmeidig die 2999-­Euro-Zeile bzw. das 4999-Euro-L durch praktische und schöne Ausstattungsdetails optisch wie finanziell aufzuwerten, setzt man allzu sehr auf uniformes Gedankengut. So scheint sich die Kreativität mancher Strategen in einem Brainstormingprozess zu erschöpfen, der sich mit der Erfindung immer neuer Kunstbegriffe für Handelsmarken und Webshops verausgabt. Vor lauter ­Livingos, Avandeos, Mirapodos, Zalandos und Kivedas weiß man als durchschnittlich interessierter Kunde doch schon gar nicht mehr wohin. Wenn das so weitergeht, droht den sonderbar benannten Shops und sonstigen Internet-Plattformen in unserer Wahrnehmung ein ähnliches Schicksal wie Passwörtern und Identifikationsnummern: Wenn man sie nicht notiert, weiß man irgendwann nicht mehr, wer zu wem gehört und was eigentlich wozu gut ist.
Es ist rein gar nichts gegen ein gut gemachtes Internetangebot zum Thema Küche zu sagen. Aber genug der Spielereien, jetzt sollte diese ganze Technik mal zeigen, was sie wirklich kann. „Computer: Ein Küchenhandel mit identifizierbarer Markenseele, Ort: Überall, Zeit: Egal – Hauptsache sofort.“ Und wenn es digital nicht funktioniert, dann muss es halt analog klappen. Grenzen setzt allein unsere Vorstellungskraft, meint


 
Dirk Biermann, Chefredakteur
d.biermann@kuechenplaner-magazin.de