03.02.2014

Champagner wäre sicher übertrieben. Auch ein guter Jahrgangssekt wirkt verwegen. Aber stilles Mineralwasser passt auch nicht wirklich. Etliche Küchenmöbelmanager dürften in diesen Tagen ins Grübeln geraten, wenn sie sich mit Blick auf die Zahlen für 2013 für ein adäquates Getränk entscheiden sollten.

Denn die Küchenmöbelindustrie – stets ohne Ikea gerechnet – wird das Jahr 2013 mit einem Umsatzrückgang von 0,2 Prozent abschließen. Das haben die Experten vom Herstellerverband VDM errechnet und im Vorfeld der imm cologne bekannt gegeben.

Umsatzrückgang – was für ein entsetzlicher Begriff. Mehr als stilles Mineralwasser ist da wirklich nicht drin. Doch mit etwas verbaler Kosmetik reicht es bereits für den ambitionierten Jahrgangssekt: „In einem schwierigen Marktumfeld konnte die deutsche Küchenmöbelindustrie ihren Umsatz stabil halten.“ Tusch. Und mit Blick auf die übrigen Möbelkollegen kommt für einen Moment sogar ein heimlicher Schluck Schampus in Betracht – zumindest einer von Aldi oder Lidl. Denn laut VDM haben die Wohnmöbler 7,1% Umsatz eingebüßt, die Matratzenhersteller sogar 12,9%. Und das, obwohl alle Konsum-, Anschaffungs- und sonstige Neigungen der Endverbraucher stabil nach oben zeigen. Da stellt sich die Frage: Woran liegt das bloß?
Die Verbandsmanager der Möbelindustrie haben die Schwäche des Inlandsmarktes als Kernproblem ausgemacht. Die Absatzzahlen stimmen nicht. Was unter anderem auf den phantasielosen Markt- und Werbeauftritt des großflächigen Handels zurückzuführen sei, so der VDM. Von wegen der ständigen Rabatte. Neu ist diese Klage nicht. Ein weiteres Ärgernis fabriziere die EU, weil sie die ohnehin starke polnische Möbelindus­trie subventioniere. Das setzt die Preise zusätzlich unter Druck.
Weitere Gründe für die Misere wurzeln tiefer. Im Grunde steckt die Einrichtungsbranche auf Industrie- und Handelsseite in einem elementaren Umbruch, dem manche Betriebe allzu ratlos gegenüber stehen. Beispiel Industrie: Traditionelle Exportländer in der Nachbarschaft funktionieren nicht mehr wie gewohnt. Das wissen wir hinlänglich. Kontakte in neue Märkte sind in vielen Unternehmen jedoch noch immer im Aufbau und können die Rückgänge längst nicht auffangen. Vor allem traditionsreiche mittelständische Unternehmen tun sich schwer, unbekanntes Geläuf zu beschreiten. Schließlich hat das mit Holland, Belgien, Österreich, Dänemark und Frankreich doch immer so gut geklappt. Und selbst mit den für ihre Exzentrik berüchtigten Briten ist man irgendwann zurechtgekommen. Doch China, Indien, Russland oder Südamerika? Das ist verdammt weit weg. Für mache zu weit.
Dass die Welt lokal, regional wie global zumindest virtuell bereits ins Wohnzimmer lugt, bleibt in der Wahrnehmung mancher Marktteilnehmer aus Industrie, Handel und Verbandsszene ebenfalls außen vor. So hat ein Studienprojekt an der Möbelfachschule in Köln festgestellt, dass der Möbelhandel die Kommunikation im Web schlicht verschläft. „Social Media“ sei an vielen Orten ein Fremdwort. Es wurde weder Know-how aufgebaut, noch Zeit, Budget und Personal zur Verfügung gestellt. Die ­Möfa-Projektarbeit – initiiert von der Josef-Lauten-Stiftung – kommt zur Erkenntnis: „Wer Kunden für den stationären Handel motivieren will, muss sich schleunigst mit den sozialen Medien auseinandersetzen.“ Überraschend und neu ist auch das nicht.
Die technischen und kommunikativen Möglichkeiten des „­Social Web“ sind sicher nicht das Allheilmittel gegen alles, und nicht alles, was technisch möglich ist, eignet sich für jeden. Manches ist schlicht Unfug. Doch auszublenden, dass sich Kunden heutzutage völlig anders informieren und anders einkaufen als früher, und zu hoffen, dass es schon irgendwie weitergehen wird, führt ins Abseits. Allein auf die Rabatt-Monokultur der Großfläche zu schimpfen, auf die EU oder die jeweils aktuelle Bundesregierung, ist keine Lösung. Und das Wetter ist auch nicht an allem Schuld. Statt das Ungemach ausschließlich im Umfeld zu suchen, wäre ein mutiger Blick in den Spiegel nötig. Unbequem aber existenziell.
Die Küchenmöbelindustrie kommt in der jüngsten Jahresstatis­tik vergleichsweise glimpflich davon. Betrachtet man den massiv gestiegenen Stellenwert, den das Produkt Einbauküche in den Augen der Deutschen zunehmend genießt, dann schmeckt Nullwachstum jedoch ähnlich schal wie ein Rest Spumante am Neujahrsmorgen.
Das Geldvermögen war hierzulande noch nie so umfangreich wie heute. Immer mehr Menschen lieben das Thema Küche und immer mehr lassen sich ihre Emotionen sogar etwas kosten. Gemütlich zu wohnen, rangiert ganz oben auf der Beliebtheitsskala. Mit lieblos aufgebahrten Musterküchenmonokulturen, kreischender Rabattwerbung, einer inflationären Hinwendung zu gesichtsloser Handelsware bei gleichzeitiger Vernachlässigung von Markenaufbau, Markenpflege und nutzenorientierten Werbeimpulsen laufen die Vorlagen, die der Markt derzeit in Fülle bietet, ins Leere.
Sich als Einäugiger unter den Blinden feiern zu lassen, verliert schnell an Reiz. Spätestens, wenn die Endkunden mangels Impulse sich wieder aus der Küchen­ecke verabschieden und sich anderen Lieblingsthemen widmen. Elektronisches Spielzeug hat längst die Pole-Position übernommen. Und auch das Auto ist nicht totzukriegen. Oder glaubt wirklich irgendwer, dass die Verantwortlichen in den Konzernzentralen der Autobauer ihre momentane Schwäche in der Kundenakzeptanz noch lange tatenlos hinnehmen werden?

 
Dirk Biermann, Chefredakteur
d.biermann@kuechenplaner-magazin.de