16.09.2013

Von Dirk Biermann – Wer als Hausgerät etwas auf sich hält, ist in erster Linie eins: leise. Und das gilt längst nicht allein für einst auffällige Radaubrüder wie Dunsthaube und Geschirrspüler. Auch bei Kühlgeräten gilt: Flüsterleise ist (fast) noch zu laut. Wie aufwändig es ist und wie viel Knowhow es erfordert, diesen Anspruch umzusetzen, dokumentiert der Besuch in den Entwicklungs- und Testlaboren von Kühlgerätespezialist Liebherr am Standort Ochsenhausen.

Im so genannten Halb-Freifeldraum herrschen akustische Zustände wie in einer üppig eingerichteten Wohnlandschaft. Foto: Liebherr

Kennen sich mit leisen Kühlgeräten aus: Günther Sproll (Liebherr Marketingleiter, Foto links) und ­Hubert Meyer (Vertriebsleiter). Einblick in die Liebherr-Welt der Akustik gaben im Gespräch mit der Redaktion zudem Eugen Sättele, Leiter Testbereich/Produktentwicklung, sowie seine beiden Mitarbeiter Martin ­Schädler und Gunnar ­König. Foto: Biermann

Als Hausgerät hat man es heutzutage nicht leicht. Man muss viel können, am besten alles automatisch und ohne groß zu zicken. Doch macht die Technik dabei Geräusche, erntet man böse Blicke. Besonders Kühlgeräte in ihrem weitestgehend rechteckigen Einheitslook bekommen diese Ungerechtigkeit zu spüren. Produktgestalter mögen an dieser Stelle gequält aufstöhnen, doch sind es vorrangig die inneren Werte, die das Wesen der Kältegeräte prägen. Allen voran natürlich die Energieeffizienz. Innerhalb weniger Jahre ist es dem auf Kühl- und Gefriergeräte spezialisierten Unternehmen Liebherr gelungen, den Stromverbrauch seiner Geräte erheblich zu senken – bei manchen Modellen gar um bis zu 75%. Jenseits des Scheinwerferlichts rund um den Medienliebling Energieeffizienz betreibt Liebherr einen mindestens genau so hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwand, um die Betriebsgeräusche von Kältegeräten immer weiter zu minimieren. Und das lange bevor die Geräuscharmut als das neue Maß in der modernen Küche ausgerufen wurde. „Wir haben schon in den 1980er-Jahren einen Röntgenraum eingerichtet, um Einspritzgeräusche der Kältemittel zu lokalisieren“, erläutert Marketingleiter Günther Sproll und macht mit diesem Beispiel deutlich, dass die Akustik-Forschung bei ­Liebherr alles andere ist als eine fixe Idee der Neuzeit.
Allein am schwäbischen Standort Ochsenhausen beschäftigen sich ungefähr 100 Fachleute permanent mit Forschung und Entwicklung. Obwohl Liebherr selbstverständlich Bauteile von außen zukauft, kommt nichts ohne das O.K. aus der Abteilung von Eugen ­Sättele in die Geräte. „Wir entwickeln alles selbst oder sind zusammen mit spezialisierten Partnern immer mit an der Entwicklung beteiligt“, sagt der Leiter Testbereich/Produktentwicklung. Und selbst dann bleibt nichts dem Zufall überlassen, denn vor der Serienfertigung werden alle Einzelteile bis hin zu Schienen und Scharnieren auf eine 15-jährige Lebensdauer getestet. Bei einer statistischen Verweildauer von 12,7 Jahren, die Kühlgeräte in Deutschlands Küchen ihren Dienst versehen, ein Wert mit marktkonformer Reserve.

Für alle Klimaklassen
„Thermodynamik“, „Mechanik“ und „Akustik“ sind die drei großen Felder, in denen die Liebherr-Fachleute forschen, entwickeln und testen. Ziel sei stets der langjährig störungsfreie Betrieb, der zudem möglichst frei von Blubber-, Zisch- und Knackgeräuschen sein soll. Dafür stehen spezielle Prüfräume zur Schallmessung, Lebensdauerprüfung und Klimasimulation zur Verfügung. Die Messkabinen mit Messplätzen sind der Nachahmung unterschiedlicher klimatischer Bedingungen vorbehalten. In diesen Kabinen können Umgebungstemperaturen zwischen 5 und 60°C initiiert werden bei einer Luftfeuchtigkeit zwischen 40 und 90%. Von den extremen Bedingungen in asiatischen Ländern einmal abgesehen (dafür wurde eine angepasste Technik entwickelt), soll ein und dasselbe Liebherr-Geräte selbst bei grundverschiedenen Klimabedingungen stets tadellos funktionieren: im nordfinnischen Winter ebenso wie unter der südspanischen Sommersonne. „Unsere Geräte decken alle Klima-Klassen ab“, betont Eugen Sättele. Nach DIN-Norm getestet, versteht sich.

Schall-Druck und Schall-Leistung messen
Analog zum Erfolg bei der Energieeffizienz meldet Liebherr auch bei der Akustik deutliche Fortschritte. So konnten die Betriebsgeräusche der Spitzengeräte auf ein fast nicht mehr wahrnehmbares Niveau reduziert werden, wie der praktische Hörtest in den beiden Schallmessräumen offenbart. Liebherr bewertet immer doppelt: Die Schall-Leistung und den Schall-Druck. Vereinfacht gesagt ist die Schall-Leistung das, was das Gerät an Geräuschen im Labor erzeugt und der Schall-Druck das, was der Mensch in der konkreten Umgebung vom Gerät hört. „Diese beiden Werte haben im Grunde inhaltlich wenig miteinander gemeinsam“, erläutert Eugen Sättele. „Außer, dass beide Werte in Dezibel angegeben werden“. Und dass aus dem Schalldruck mithilfe einer speziellen Formel jener Schallleistungs-Wert errechnet wird, der auch auf dem Energie-Label für Vergleichbarkeit sorgen soll. Seit dem 1. Januar 2011 ist die Geräuschangabe von Kältegeräten in Eu­ropa nämlich gesetzlich vorgeschrieben. Was den direkten akustischen Vergleich verschiedener Alltagsgeräusche, also z.B. das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos oder den gemessenen Geräuschpegel bei einem Rockkonzert erschwert, ist, dass die fürs Energielabel errechnete Schall-Leistung höher ist, als der subjektiv wahrgenommene Schall-Druck. Ein konkretes Beispiel dazu: Bei einem Kühlgerät wird der Schall-Druck von 26,9 dB(A) gemessen und daraus eine Schall-Leistung von 39 dB(A) berechnet. Auf dem Energielabel deklariert werden 42 dB(A).

Wie in echt
Weil die Schall-Ausbreitung in der Praxis eigene Gesetzmäßigkeiten hat, sind die beiden Messräume unterschiedlich eingerichtet. Der Hallraum ähnelt im übertragenen Sinn einem extrem spartanisch eingerichteten und gefliesten separaten Küchenraum und der sogenannte Halb-Freifeldraum, dank einer Vielzahl absorbierender Keile an den Wänden, einer üppig eingerichteten Küchen-Wohnlandschaft samt Teppich als Bodenbelag. Dieser doppelte Aufwand hat seinen Grund, denn stets kommt es bei der menschlichen Wahrnehmung von Geräuschen auf die jeweilige Umgebung an sowie auf den Abstand zwischen dem Hörenden und der Geräuschquelle. In einer separaten Küche mit Fliesenboden und Steinarbeitsplatten werden Geräusche tendenziell intensiver wahrgenommen. „Wir wollen messen, wie es bei den Kunden wirklich ist“, beschreibt der Liebherr-Testleiter den Hintergrund der Verfahren. Nämlich auf den Punkt gebracht: Sehr unterschiedlich.
Dafür werden die Kühlgeräte jeweils als ganzes System überprüft. Kontrolliert werden aber auch einzelne Komponenten im Rahmen eines sequenziellen Checks. Übersteigt ein gemessener Wert die hinterlegte Toleranz, springt die Ampel im Computersystem automatisch auf Rot. Oder auf Grün, wenn alles passt.

Trockenbau statt Kalksandstein
Nicht nur die Architektur- und Einrichtungsstile haben sich in den letzten Jahren verändert, auch das Geräuschempfinden der Menschen ist nicht mehr das, was es einmal war. „Heute sind die Menschen viel sensibler Geräuschen gegenüber“, weiß Liebherr-Verkaufsleiter Hubert Meyer. Was nicht daran liege, dass wir alle besser hören gelernt haben, sondern maßgeblich an der veränderten Art und Weise, wie wir unsere Häuser bauen. Kurz gesagt: Nach außen gut gedämmt und im Innenausbau mit vielen leichten Materialen, die den Schall kaum mehr in seiner Ausbreitung hindern. In der Kombination führt das dazu, dass immer weniger Außengeräusche in die Häuser dringen und deshalb Innengeräusche viel intensiver ins Bewusstsein rücken. „Trockenbau statt Kalksandstein ist zwar kostengünstiger“, sagt Hubert Meyer, „aber dann darf man sich nicht wundern, dass es in den Wohnräumen einfach lauter ist.“

Mehr Geräuschquellen
Zudem werden Hausgeräte technisch immer komplexer und haben somit sehr viel mehr Gelegenheiten Geräusche zu machen, als ihre Vorgänger. „Kühlschränke hatten früher einen Kompressor und einen Temperaturfühler, das war es schon an Technik“, gibt Günther Sproll zu bedenken. Inzwischen verfügen moderne Geräte über Funktionen wie BioFresh und NoFrost. Und entsprechend über weitere Ventilatoren, Luftklappen und Ventile. Hinzu kommen die ureigenen physikalischen Vorgänge im Innenleben eines Kühlgeräts. Funktional genutzt wird das Wechselspiel von Kälte und Wärme unter Zuhilfenahme eines teilweise gasförmigen bzw. teilweise flüssigen Kältemittels. Temperaturunterschiede im Rahmen von +5°C bis -20°C bewirken, dass sich Materialien – beispielsweise an den Alu-Verdampfern – ausdehnen und wieder zusammenziehen. Und als Ergebnis dieser Materialspannung knacken diese. Um diese als störend empfundenen Knackgeräusche zu eliminieren, verwendet Liebherr zum Beispiel weich gelagerte Verbindungen. Hinzu kommen an anderen Stellen Gleitkunststoffe, die das Knacken ebenfalls sicher verhindern.

Schneller als der Schall
Insgesamt sind die von Liebherr umgesetzten Maßnahmen zur Geräuschminimierung umfangreich und vielschichtig. Beispielhaft genannt seien diese prägenden Aspekte:

  • Drehzahlgesteuerte Kompressoren: Herkömmliche Kompressoren arbeiten mit ca. 3000 Umdrehungen pro Minute. Die aktuell verwendete Technik kommt fast durchgehend mit 1000 bis 1600 Umdrehungen pro Minute aus. Die niedrigere Drehzahl reduziert die Betriebsgeräusche. Zudem werden Kompressoren mit Gummipuffern ausgestattet und so vom Gerät entkoppelt. Dies verhindert, dass sich Vibrationen übertragen.
  • Ausgewuchtete Ventilatoren: Ähnlich wie Autoreifen werden die eingesetzten Ventilatoren ausgewuchtet. Das Ventilator-Flügelrad wird magnetisch auf der Achse gehalten und arbeitet so frei von Schleifgeräuschen. Auch die Ventilatoren laufen heute meist drehzahlgesteuert. Also nur so schnell wie nötig, um die gewünschte Temperatur im Kühlteil zu gewährleisten. Nur noch ungefähr 1600 statt 2500 Umdrehungen in der Minute benötigt die so gesteuerte Technik. Hinzu kommen zahlreiche aerodynamisch optimierte Einzelteile im Lüfter sowie schwingungsdämpfende Verbindungen.
  • Verdampfer kommen als weitere Geräuschquelle infrage. Für jedes Kühlgeräte-Modell wird ein individuell optimiertes Kanalbild entwickelt, durch das das verflüssigte Kältemittel strömt. Und zwar tatsächlich möglichst „fließend“, um etwaige Blubbergeräusche zu minimieren.
  • Besondere Bedeutung kommt dem Moment zu, wenn das Kältemittel in den Kühlkreislauf gedrückt wird. Da die Kapillar-Innenöffnung einen Durchmesser von lediglich circa 0,6 mm aufweist, werden hier Geschwindigkeiten erreicht, die im Bereich der Schallgeschwindigkeit sind. „Jede kleinste Unstimmigkeit bei der Konstruktion führt zwangsläufig zu Geräuschen“, berichtet Eugen Sättele. Wichtige Details wie der optimale Einsprühwinkel werden mithilfe von Simulationsmodellen oder der bereits erwähnten Röntgentechnik ermittelt.
  • Liebherr setzt auf das FCKW-freie Isobutan R 600a. Dieses Kältemittel hat im Vergleich zum früher verwendeten FCKW-Gemisch R 134a bei identischer Temperatur nur den halben Druck. Durch den niedrigeren Druck muss weniger Kraft aufgewendet werden und die Technik weniger stark arbeiten – was wiederum weniger Geräusche erzeugt.


Die Psychologie von Geräuschen
Küchennutzer wollen immer leisere Geräte. Dazu muss oberflächlich betrachtet am Dezibel-Wert gefeilt werden. Die Fachleute der Liebherr-Entwicklungsabteilung wissen aber genau, dass es damit allein nicht getan ist. Zur reinen Quantität der abstrakten Dezibel-Zahl kommen sogenannte psychoakustische Parameter – also der qualitative Effekt. Hinter dem Wort­ungetüm Psychoakustik verbirgt sich die Erkenntnis, dass Geräusche von verschiedenen Menschen und in verschiedenen Situationen angenehm oder unangenehm empfunden werden können – und das trotz eines identischen Dezibel-Wertes. Für diesen subjektiven Hör­eindruck verantwortlich sind Parameter wie Tonfrequenz, Klangfarbe oder Geräuschschärfe. Aber auch Rauhigkeit, Schwankungsstärke oder Impulshaltigkeit. Aktuell arbeiten die Fachleute in der Entwicklungsabteilung in Ochsenhausen an einer Zusammenstellung von akustischen Parametern, die typisch für Kühlgeräte von Liebherr sind und damit ein individuelles akustisches Bild der Marke prägen sollen. Aber dies umzusetzen, erfordere Geduld. Denn Geräusch-Design hat seine eigenen Gesetze. Das weiß auch ­Eugen ­Sättele: „Ein Knacken oder Pfeifen an der falschen Stelle – und alles ist für die Katz.“ Als Hausgerät hat man es heutzutage wahrlich nicht leicht.

www.liebherr.com



Forschen im Verbund
Die Spezialisten in Ochsenhausen forschen, entwickeln und messen nicht isoliert für sich, sondern im Verbund mit den weiteren Kühlgeräte-Werken innerhalb des Liebherr-Konzerns. Ein großer Entwicklungsschritt konnte 2008 realisiert werden: Seitdem arbeiten alle Werke mit dem identischen Schallmesssystem und speisen die gemessenen Werte in eine einheitliche Datenbank ein. Weltweit fertigt die Kühlgerätesparte des Liebherr-Konzerns mit 4800 Mitarbeitern rund 2,2 Mio. Geräte im Jahr. Für Privathaushalte und Gewerbe.
Ochsenhausen in Schwaben ist der größte Standort mit 1850 Mitarbeitern und einer Produktion von rund 1 Mio. Geräten. Dabei handelt es sich um Einbaugeräte, Kühl-Gefrierkombinationen und Gefrierschränke für den Privathaushalt. Im österreichischen Lienz werden Gefriertruhen für Haushalt und Gewerbe entwickelt und produziert, in Radinovo (Bulgarien) Tischgeräte sowie kostengünstige Kühlgeräte mit einem Kühlkreislauf, sogenannte Einkreisgeräte. Der vierte Standort ist in ­Kluang in Malaysia angesiedelt. Hier werden technisch angepasste Kühl- und Gefriergeräte für die Märkte in Asien hergestellt. (dib)