02.09.2013

„Die Kunden wollen Erlebnisse statt Protz und Status“

Von Dirk Biermann – Gespräch mit Markenberater Peter Lünstroth über die neuen Ansprüche der Konsumenten, warum sich die Küche viel stärker als ein Gesamtprodukt und Erlebnisraum inszenieren sollte und wie traditionell denkende Küchenmöbelhersteller dieser Positionierung im Wege stehen können.

Peter Lünstroth

Wenn Sie als Markenberater an die 1990er-Jahre denken: Was charakterisiert den typischen Konsument dieser Zeit?
Peter Lünstroth: In den 1990er-Jahren, ich möchte es mal die vorinteraktive Zeit nennen, hatte der Verbraucher wesentlich weniger Werbekontakte. Das bedeutet, er konnte sich in einem behäbigen Rhythmus seine Meinung über die Welt bilden und über die Marken im Besonderen. Einige wenige Werbekontakte reichten schon aus, um eine Marke im Markt zu positionieren und ein festes Meinungsbild zu Marken zu prägen.

Welche Auffälligkeiten prägen den Verbraucher im Jahr 2013?
Der Verbraucher im Jahr 2013 tickt völlig anders. Er hat vor allem eine völlig andere Wahrnehmung geschult, da er permanent mit werblichen Botschaften konfrontiert ist. Insbesondere die Markenartikler bauen einen immensen Werbedruck auf. Das findet auf vielen verschiedenen Kanälen statt. Der Verbraucher hat seine passive Rolle aufgegeben und gelernt, mit den Anbietern dieser Botschaften zu interagieren.

Was bedeutet das für den Küchenmarkt?
Früher landläufig bekannte Küchenmarken haben aufgrund ihres nur sehr geringen Werbedrucks eklatant an Bedeutung verloren. Früher war eine hochwertige Küche sehr viel mehr ein Statussymbol als heute. Aber das betrifft nicht nur diese Produktkategorie. Auch Automobile haben ihre Rolle als Statussymbol weitgehend verloren – beziehungsweise verlieren sie derzeit. Das hat mit einer neuen Generation von Konsumenten zu tun, die in erster Linie eine Erlebniswelt favorisieren, die sie auch täglich in den Medien vorgespiegelt bekommen.

Vor welche Herausforderungen stellt diese umwälzende Entwicklung Unternehmen aus Industrie und Handel?
Die Unternehmen müssen auf dieses neue Bild von Markenkommunikation und Selbstbild des Verbrauchers reagieren und vor allem selbst agieren. Sich auf einst errungenen Lorbeeren auszuruhen, funktioniert heute nicht mehr. Der Konsument will heutzutage immer wieder überrascht und begeistert werden. Unternehmen, die nichts von sich hören und sehen lassen, verschwinden ganz schnell aus dem Wahrnehmungsfenster der Verbraucher.

Einige Unternehmen setzen dies bereits um.
Sie tun dies aber noch viel zu wenig. Als erstes haben Unternehmen aus dem Bereich der „fast moving consumer goods“ (Anm. d. Redaktion: sich schnell drehende Konsumartikel wie Nahrungsmittel, Süßigkeiten etc.) bemerkt, dass hier ganz neue Ansprachen des Konsumenten notwendig werden und vor allem ein Dialog hilfreich und notwendig ist. Die Hersteller langlebiger Konsumgüter hinken in der Dialogbereitschaft noch stark hinterher.

Und klassische Markenanbieter?
Es sind gerade die klassischen Markenartikler, die hier richtig reagieren und Foren mit ihren Käufern und Verbrauchern aufbauen. Beispielsweise aus der Automobilindustrie.

Was haben Firmen wie Apple oder Samsung richtig gemacht?
Gerade im Bereich der elektronischen Medien bzw. der mobilen Kommunikation hatten junge, innovative Unternehmen große Chancen, ihren Markennimbus aufzubauen und auszuweiten. Das ist ja noch immer ein sehr junger Markt, Smartphones gibt es ja noch gar nicht so lange. Mit Beweglichkeit und Flexibilität konnten sich diese Firmen vom Wettbewerb abheben – und vor allem durch eine sehr scharfe Positionierung. Das klassische Beispiel dafür ist Apple. Im Gegensatz zu eher langatmig agierenden Unternehmen wie Siemens.

Siemens, langatmig?
Man darf nicht vergessen, dass Siemens über lange Jahre eine Mobilphonesparte hatte. Daher der Vergleich.

Zurück zu Apple...
...dieses Unternehmen konnte sich im Markt für mobile Kommunikation sehr stark positionieren. Indem sie ihr Produkt als ein Lifestyle-Produkt positioniert haben. Mit hoher Innovation hat Apple Smartphones überhaupt erst marktreif gemacht. Inzwischen hat sich dieser Vorsprung stark relativiert, da asiatische Mee to-Anbieter wie Samsung diesen Markt stark angegangen sind und mit entsprechender Markenkommunikation ihre Stellung inzwischen ausbauen konnten. Das schiebt Apple leicht ins Hintertreffen. Hinzu kommt natürlich auch der Tod des mystischen Unternehmenslenkers Steve Jobs.

Gegenfrage: Was haben Firmen wie Nokia oder Sony falsch gemacht?
Nokia und Sony sind die klassischen Vertreter einer Industriemarkengesellschaft. Sie haben es versäumt, die sich verändernden Konsumentenwünsche beispielsweise nach Mobilität und Erlebnis rechtzeitig zu interpretieren. Sie haben mehr auf tradierte Werte gesetzt und sind in ihrer Entwicklungspolitik eine Zeitlang stehengeblieben. Unter dem Strich haben sie es nicht vermocht a) die technischen Innovationen zu entwickeln und b) diese technischen Innovationen in die Erlebniswelt der derzeitigen Konsumentenkreise zu transportieren.

Was bedeuten diese Entwicklungen für die Küchenbranche? Sprich: Wie viel Marke braucht die Küche heutzutage?
Küche ist aus Sicht der Markenberatung eine ganz besondere Produktkategorie, weil sie sehr heterogen ist. Sie setzt sich zusammen aus verschiedenen Komponenten, die den späteren Nutzen für den Verbraucher vermitteln. Zum einen spielen natürlich die Geräte eine Rolle. Allerdings ist deren Funktionalität herstellerübergreifend und damit überwiegend austauschbar. Abgesehen von einigen offensichtlichen Convenience-Vorteilen wie selbstreinigende Backöfen oder Induktionskochfeldern und Multidampfgargeräten ist der Innovationsgrad im Vergleich zu anderen Branchen verhalten. Selbst Entwicklungssprünge wie sich sanft bewegende Schubladen oder gedämpfte Scharniere führen ein Schattendasein in der Wahrnehmung vieler Kunden – im Vergleich zum Entwicklungstempo anderer Branchen. Wohl auch, weil dies viel zu wenig thematisiert wird. Damit verschenkt die Küchenbranche eine Menge Aufmerksamkeit beim Konsumenten.
Das Grundproblem bei der Küche ist, dass das Markenversprechen nicht genau transportiert werden kann. Was ist der Mehrwert schöpfende Prozess? Ist es in erster Linie das Premium-Gerät, das in der Küche steckt? Ist es die sanfte Bewegung der Schublade? Ist es das Design der Oberfläche? Und die leichte Reinigung dieser Oberflächen? Oder ist es die Küche als Ganzes – als Erlebnisraum, der eine junge Generation ansprechen könnte? Diese Unschärfe, wo eigentlich eine Markierungsfunktion der Marke stattfinden könnte und eine Aussage, wofür sie steht, macht es so schwierig, Küchenmarken zu etablieren. Vor allen Dingen lukrativ zu etablieren.

Was sollte in der Kundenansprache besser im Mittelpunkt stehen: Der Name des Küchenmöbelherstellers als Marke oder das Lebensgefühl, das mit dem Gesamtprodukt verbunden sein kann?
Die Unternehmensmarke allein wird für eine Küche nicht mehr als Mehrwert schöpfend wahrgenommen werden. Allein schon, weil das Statusdenken abnimmt. Moderne Konsumenten sehen die Küche zunehmend als Erlebnisraum. Nur wenn es dem Anbieter gelingt, seine Küchenmarke mit einem Erlebnisversprechen zu verbinden, wird es auch gelingen, die Rentabilität einer Marke zu erreichen. Jede Fokussierung auf Werte des letzten Jahrhunderts wie Status, Signalisierung von Vermögen, Reichtum und gesellschaftlicher Stellung ist rückläufig.

Wenn ich Sie richtig verstehe, plädieren Sie dafür, dass sich nicht einzelne Marken bzw. Anbieter nach vorn drängen, weil das Gesamtprodukt eine besondere Art der Ansprache braucht. Läuft das auf eine Art Gemeinschaftswerbung hinaus?
Es läuft darauf hinaus, dass man im Marketing den tatsächlichen Mehrwert für den Kunden fokussieren muss. Was der Mehrwert sein wird, hängt natürlich stark von der Positionierung des einzelnen Küchenbestandteilherstellers ab. Das Grundproblem im Gesamtkonstrukt Küche ist halt, dass sich der Mehrwert schöpfende Nutzen auf verschiedene Instanzen verteilt. Und dass diese Instanzen in der Kundenwahrnehmung weder gemeinsam auftreten noch dieselbe Sprache sprechen. Mit einer Ausnahme: Ikea.

Wobei Ikea eher eine gut funktionierende Vertriebsidee ist, aber kein klassischer Küchenmöbelproduzent.
Es funktioniert in der Kundenwahrnehmung trotzdem. Die Ikea-Küche wirkt als Markenküche. Aus breiter Kundensicht vielleicht die einzige große Küchenmarke überhaupt noch in Deutschland.

Sie sprechen von Mehrwert für den Kunden und der Notwendigkeit einer vielstimmigen und dennoch einheitlichen Kundenansprache, die den Nutzen für den Verbraucher fokussiert. Könnte es also sinnvoll sein, wenn z.B. hochwertige Komponentenlieferanten, wie Beschlägehersteller mit ihrem Markennamen präsent sind, weil deren Namen für einen Mehrwert und ein Nutzenversprechen steht?
Wenn dadurch die Wertschöpfung für den Verbraucher erhöht wird, ja. Das setzt voraus, dass der Verbraucher den Mehrwert der entsprechenden Marke für sich erkennt. Und das setzt wiederum Investitionen ins Marketing voraus. Es ist eine Kostenkalkulation, ob sich das am Ende rechnen wird. Das muss man untersuchen, ob sich das lohnt.
Vor allem muss jeder für sich untersuchen, ob sich das lohnt. Der Küchenmöbelhersteller muss sich fragen, was er davon auf der Verkaufsseite hat, wenn die Marke eines Beschlagherstellers sichtbar an der Seite auf der Küche geschrieben steht. Kann er die Küche teurer verkaufen und bleibt ihm was übrig? Sonst ist es für ihn sinnlos.

Könnten Sie sich eine Situation analog zur Autoindustrie vorstellen. Also dass der Kunde sagt: „Toll, ich will das Produkt, aber mit Recaro-Sitzen und mit Brembo-Bremsen. Weil das ein Nutzen für mich ist, den ich gelernt habe.“ Kann das auf die Küche transportiert werden?
Das würde in der Küche genauso funktionieren wie in diesem Beispiel, setzt aber voraus, dass der Kunde die Beschläge kennt – genauso wie Recaro-Sitze und Brembo-Bremsen. Und das bedeutet, dass der Beschlaghersteller von sich aus Marketing betreiben muss, um seinen Mehrwert auch zu kommunizieren. Also stellt sich die Frage, ob sich das für den Beschlaghersteller rechnet.

Was bedeutet das für alle Beteiligte: Für Küchenmöbelhersteller, für Geräteproduzenten, für Zubehörlieferanten?
Das bedeutet, dass Küchenmöbelhersteller als bindendes Element neu über ihre Rolle als mögliche Marke nachdenken sollten.

Nämlich wie?
Sie sollten präsent sein und mit den Kunden in den Dialog gehen. Sie sollten analysieren, wie das Nachfrageverhalten ist, was den Verbrauchern wichtig ist. Sie sollten das aufnehmen, in ihren Produkten umsetzen und mit ihrer Marke belegen. Um mal eine komplexe Materie auf einen vereinfachenden Kern zu reduzieren.

Sie sagen: Der moderne Konsument will Erlebnisse statt Protz und Status. Rückt der Küchenmöbelhersteller mit seiner traditionellen Kompetenz als Küchendesigner in den Hintergrund, wenn die erlebnisverheißende Funktion immer wichtiger wird?
Ja, aber es hängt weiterhin auch stark vom Design ab. Vorausgesetzt das Design bietet einen funktionalen Nutzen. Nehmen wir als Beispiel die Küchenfront als Flatscreen. Dann hat die Front eine zusätzliche Funktion und unterstützt den Erlebniswert der gesamten Küche. Mit OLED-Displays ist das heute schon machbar. Das heißt: Damit tritt das Design zwar zurück, bleibt aber selbstverständlich Design.

Design als zentrale Grundvoraussetzung, über die aber niemand mehr spricht, weil es jeder erwartet?
Der erfolgreiche Küchenmöbelhersteller der Zukunft tritt mit seinen Design-Kompetenzen etwas zurück und stellt die Funktionalität wieder mehr in den Vordergrund. Aber er zieht die Strippen im Hintergrund. Wenngleich mit mehr Understatement als in der Vergangenheit. Es kommt immer mehr auf die Gesamtkomposition an. Der Küchenmöbelhersteller wird dadurch eher zu einem Dirigenten als zu einem Innenarchitekten.

Und er lässt seinen Zulieferern mehr Luft in der öffentlichen Wahrnehmung. Die liefern ihm ja die Funktion.
Er lässt Solisten zu. Wie es bei einem jeden guten Orchester sein sollte. Nur die Komposition, wie das alles zusammenspielt, ist seine Leistung, die Mehrwert schöpfend ist. Das Grundproblem scheint zu sein, dass sich der Küchenmöbelhersteller derzeit eher als Designer begreift und weniger als Dirigent. Worauf es aber ankommt, ist das Gesamtkunstwerk und nicht die Tapete.

Zusammengefasst würden Sie es aus Ihrer Sicht als Markenberater wie ausdrücken?
Die Küche präsentiert sich aktuell als ein Lifestyle-Produkt. Der Kunde möchte Erlebnisse in der Küche haben, er will kochen, genießen und Gemeinschaft mit Familie und Freunden erleben. Damit bleibt die Küche zwar nach wie vor ein Arbeitsraum mit allen funktionalen Notwendigkeiten, aber in der Wahrnehmung steht immer stärker die Küche als Lebensraum, in dem lebendige Ereignisse stattfinden. Dem Kunden ist relativ egal, wer die Leis­tung erbringt, damit er diese Erlebnisse haben kann.
Es braucht also einen Dirigenten, der alle Leistungen der Zulieferer ideal komponiert. Und jedem Einzelnen so viel Raum lässt, dass jeder seine Stärken ausspielen kann. Das kann klassischerweise der Küchenmöbelhersteller sein. Das kann aber auch der Küchenplaner sein, dann müssten aber alle anderen Marken­identitäten völlig zurücktreten, das heißt alle Einzelprodukte ungebrandet sein. Das dürfte allein schon mit Blick auf die Markenpräsenz der Geräteindustrie eher unrealistisch sein.

Die klassische Strategie vom Händler als regionale Marke ist dann der falsche Ansatz?
Die Küchenplanung und damit der Küchenplaner vor Ort, ist das Nadelöhr. Hier werden die Ideen von Lifestyle und Erlebnisfunktion verdichtet. Der Küchenplaner individualisiert das Angebot entsprechend der Bedürfnisse seiner Kunden sowie der räumlichen Gegebenheiten im jeweiligen Küchenraum. Sofern man nicht Möbel und Geräte rein über den Preis verkaufen will, bleibt dies die Premium-Vertriebsidee, die Margen für alle Beteiligte verspricht.
Um auf Ihre Frage konkret zu antworten: Nein, kein falscher Ansatz: Die regionale Marke vor Ort ist dann richtig, wenn es von Seiten der Küchenmöbelhersteller ein Vakuum gibt. Wenn das Dirigenten- und Dialogangebot nicht von Seiten der Küchenmöbelhersteller kommt, muss es die regionale Marke vor Ort übernehmen. Einer muss es tun.

Wie sehen Sie die Dialogbereitschaft mit dem Verbraucher aus Ihrer branchenexternen Sicht. Wer tut es? Tut es überhaupt jemand?
Die Küchenmöbelhersteller halten sich jedenfalls zurück. Wohl weil sie gar keine Marke sein wollen. Sie wollen die Dirigentenfunktion nicht übernehmen. Sie konzentrieren sich immer noch auf das Zurverfügungstellen von Ware und fühlen sich eher in der Rolle des Designers und Innenarchitekten. Das ist aber zu wenig.

Was wäre nötig?
Der Küchenmöbelhersteller muss sich entscheiden. Entweder er lässt die Kompetenz für das Gesamtprodukt Küche komplett beim Küchenplaner vor Ort, oder er profiliert sich als Dirigent. Dann müsste er aber sehr viel stärker in den Dialog mit dem Verbraucher treten. Das tut er derzeit noch gar nicht. Jedenfalls extrem gering.
Um im gewählten Bild zu bleiben: Wenn Küchenmöbelhersteller in ihrer traditionellen Rolle verharren, möchten sie zwar bestimmen, aber nicht dafür die Verantwortung übernehmen. Sie wollen nicht wirklich musizieren lassen. Sie wollen nur das Orchester anziehen. Sie wollen vorschreiben: Die tragen alle Frack. Sie wollen aber nicht sagen und darstellen: „Was bieten wir doch gemeinsam für eine schöne Musik.“
Sie haben den Dirigentenstab fest im Griff. Aber sie dirigieren nicht und sie geben ihn auch nicht aus der Hand. Das ist das Problem.

Sie gehen mit den Küchenmöbelherstellern hart ins Gericht.
Nur mit den bislang nicht lernbereiten. Außerdem ist das der Service eines Beraters. Wenn alles glatt liefe, bräuchte man unsere Leistungen nicht.

www.kuechenplaner-magazin.de


Über Lünstroth
Peter Lünstroth ist Geschäftsführer der Luenstroth Markenberatung. Das Unternehmen sitzt in Bielefeld und Berlin. Prägende Geschäftsfelder sind Markenaufbau, Markenentwicklung und Markenarchitektur. Das Unternehmen berät Marken-Unternehmen, aber auch öffentliche Institutionen national und international.

www.luenstroth-markenberatung.de