Die KI frisst sich selbst

„Unser Gehirn ist ein Problemsuchprogramm.“ Der Business Philosoph Bert Martin Ohnemüller näherte sich dem Thema KI von der menschlichen Seite und lud zum Perspektivwechsel ein. Foto: Biermann
Volles Haus in Bünde: Rund 150 Gäste kamen (am 6. November) auf Einladung des Trendfilter-Teams um Initiatorin Katrin de Louw, um über ein Thema zu diskutieren, das die Möbelbranche stark beschäftigt und weit ins Persönliche hineinreicht. „Mensch & KI in der Möbelindustrie“ lautete der Leittitel. Die beiden Keynotes von Verena Fink und Bert Martin Ohnemüller näherten sich dem Thema von sehr unterschiedlichen Seiten.
Verena Fink, Strategieberaterin bei Woodpecker Finch, sprach über das Wechselspiel aus Fachkräftemangel und Digitalisierung. Den Erweckungsmoment der KI datiert sie auf den Winter 2022 mit dem Hype um ChatGPT. „Da wurde vielen bewusst, was generative KI heute schon kann“, so Fink. Seitdem habe sich die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine grundlegend verändert. Ob die Erstellung von Text, Bild oder Video: In kürzester Zeit hat eine Vielzahl von KI-Anwendungen die Content-Produktion auf den Kopf gestellt. „Doch die Modelle basieren auf Wahrscheinlichkeiten, nicht auf Verständnis“, erinnerte sie. „Wir haben keine KI, die weiß, wie sich Sodbrennen anfühlt.“ Umso wichtiger sei es, Mensch und Maschine strategisch zu koppeln. Die sogenannte Cyborg-Methode.
Ein Live-Experiment mit dem Bildgenerierungstool „Stable Diffusion“ machte deutlich, wie eng KI noch in alten Stereotypen denkt. Ohne neue Daten verstärkt sich die Uniformität der Ergebnisse in der sogenannten Autophagie-Schleife und es kommt zum Model Collapse. „Die KI frisst sich selbst“, erklärte Fink diesen Prozess. Ihre Empfehlung: KI im Alltag nutzen, aber mit wachem Verstand. Besonders im B2B-Bereich, etwa bei Kundenprofilen oder im Lead Scoring, könne sie bereits echte Mehrwerte liefern.
Verena Fink machte auch deutlich, welch tiefgreifende Veränderungen KI für das Arbeitsleben hervorruft. Während bis 2030 in Deutschland rund fünf Millionen Fachkräfte fehlen, revolutioniert Künstliche Intelligenz den Arbeitsmarkt, ohne dass wir als Gesellschaft die genauen Auswirkungen bereits abschätzen können. Was also tun? Der Schlüssel zum Einstieg in die Nutzung von KI und zur Überwindung mentaler Barrieren liege in kleinen, praxisnahen Pilotprojekten mit erkennbarem Mehrwert für das Team. „KI-Akzeptanz entsteht durch reale Erfahrung“, betonte sie.
Warum tun wir, was wir tun?
Der zweite Referent des Tage, Business Philosoph Bert Martin Ohnemüller, stellte die Frage nach dem „Warum“. Warum tun wir, was wir tun? Sein Vortrag führte tief in menschliche Verhaltensmuster hinein: „Unser Gehirn ist ein Problemsuchprogramm. Der sogenannte Negativitäts-Bias lässt uns oft fragen: Was ist, wenn es nicht klappt?“
Aus diesem Wahrnehmungsmodus heraus leitet Ohnemüller fünf wenig hilfreiche Reaktionsmuster des menschlichen Verhaltens ab:
1. Wertevernichtung: „Biochemie kann dumm machen. Wir müssen Verantwortung für unsere Emotionen übernehmen. Die meisten Ängste seien oft völlig unbegründet und führten zu Blockaden und Verweigerung.“
2. Hilflosigkeit: „Niederlagen führen zu oft zur Resignation. Dabei gelte es, aus Niederlagen zu wachsen, wieder aufzustehen. Dazu gehört allerdings der Mut zur Konfrontation mit unangenehmen Situationen.“
3. Abhängigkeit: „KI ist ein wunderbarer Diener, aber ein gefährlicher Meister. Sie funktioniert wie ein dopamingetriebenes System – wie eine Slot Machine für den Geist. Die Gefahr der intellektuellen Entmündigung ist durch KI größer denn je.“
4. Emotionslosigkeit: „Wir sind zu verkopft. Doch der Goldstandard ist Emotion. Zwischen Lachen und Weinen liegt der Ozean der Langeweile.“
5. Widerstand gegen Perspektivwechsel: „Wir neigen zum Schlechtmachen. Veränderung beginnt durch Schmerz oder Einsicht“, mahnt Ohnemüller und rät: „Streichen Sie das Wort ‚Problem‘ aus Ihrem Wortschatz – wer über Probleme redet, schafft Probleme. Reden wir über Lösungen.“
Zwischen Realismus und Aufbruch
Die anschließende Diskussion mit Frank Michna (Team M. GmbH), Andreas Smentkowski (Market Minds), Bert Martin Ohnemüller, Gastgeberin Katrin de Louw und Moderator Sascha Tapken schlug den Bogen zur Praxis. Warum tut sich Deutschland so schwer mit dem digitalen Wandel? Warum herrscht so oft Defensivkultur?
Ohnemüller meinte: „Die Gesellschaft ist die Summe ihrer Teile. Sie kann sich nur bewegen, wenn jeder Einzelne bei sich selbst anfängt. The Power of One – dieses Motto zählt mehr denn je.“
Frank Michna riet dazu, Veränderung zur Abwechslung auch mal „kleinzureden“. Angst vor KI helfe nicht weiter. Die Technologie lasse sich ohnehin nicht aufhalten. Wer sie als Zusatzqualifikation statt als Bedrohung sehe, könne Implementierungsprozesse positiv gestalten. Begeisterung entstehe, sobald Mitarbeitende selbst mit KI experimentieren und Nutzen erkennen, womit er an die Keynote von Verena Fink anknüpfte.
Als KI-Einstiegsmethode rät Frank Michna zu einer Bestandsaufnahme: Welche Routinen kosten Zeit, welche nerven besonders, welche sind überflüssig? Muster erkennen, analysieren, recherchieren, zusammenfassen und noch viel mehr. Dabei kann KI bereits entlasten.
Zum Prompten gab der Kommunikationsexperte kreative Tipps: „Formulieren Sie Ihre Aufgaben ungewöhnlich!“ Etwa: „Schreibe mir eine Analyse wie Sherlock Holmes.“ Oder: „Behandle meine Frage wie Albert Einstein.“ So entstünden oft originellere, bessere Ergebnisse.
Beim Thema Datenschutz mahnte Frank Michna klare Regeln an. „Ein KI-Verbot ist keine Option“, so Michna. Aber sensible Kunden- und Unternehmensdaten hätten nichts in öffentlichen Tools verloren. Bezahlmodelle böten zudem die Möglichkeit, Eingaben nicht als Trainingsdaten zu verwenden. Die Nutzung lokaler Systeme sei bei sensiblen Daten ratsam, dazu braucht es allerdings ein klares Bild von IT-Organisation und -Struktur. Auch die Regulierung durch den EU AI Act wurde thematisiert, der unterschiedliche Anwendungen nach Risikoklassen strukturiert.
Aufruf zur differenzierten Sicht
Im Verlauf der Diskussion wurde deutlich, dass komplexe Themen nie eindimensional zu betrachten sind. Bert Martin Ohnemüller verwies etwa auf den immensen Energieverbrauch von KI-Infrastruktur. Aus wirtschaftlicher Sicht sei bemerkenswert, erklärte Frank Michna, dass viele große KI-Unternehmen bislang dramatische Verluste schreiben. So habe OpenAI laut Analysen im letzten Quartal einen Verlust von rund 11,5 Milliarden US-Dollar verursacht. „Der Markt ist noch längst nicht gesetzt und doch arbeiten wir schon sehr intensiv damit. Das fühlt sich seltsam an“, kommentierte Michna.
Werkstoffe und Oberflächen
Neben den Vorträgen und der Diskussionsrunde gaben Nerses Fatunz (Sonae Arauco) und Wim Brinkman (Alvic) im Rahmen der Veranstaltung Einblicke in aktuelle Materialentwicklungen. Fatunz präsentierte mit „BioReFiber“ eine MDF-Lösung mit hohem Recyclinganteil. Der CO₂-Fußabdruck werde laut Hersteller um bis zu 25 Prozent reduziert. Wim Brinkman stellte die Produktlinie „Alvic Zenit 3.0“ vor. „Supermatt ohne Grenzen“ lautet der Titel, darunter gibt es auch metallic-schimmernde Töne.
Ausblick: Architekturtrends 2026
Die nächste Veranstaltung ist bereits gesetzt: Am 19. Februar 2026 geht es im Furniture Future Forum in Bünde um Architekturtrends. Dann stehen unter anderem Themen wie Smart Living, Holzbau und Green Architecture auf dem Programm.
Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe KÜCHENPLANER 12/2025. Den Link zum E-Paper erhalten Abonnenten unseres kostenfreien wöchentlichen Newsletters. Hier geht es zur Anmeldung: https://www.kuechenplaner-magazin.de/newsletter/anmeldung/anmeldeformular/.