13.06.2018

Die Küche als zunehmend unsichtbarer Mittelpunkt

Ein Gradmesser für die Entwicklungen der Küche. Nichts weniger als das ist für Grass die alle zwei Jahre stattfindende Eurocucina.  In diesem Jahr sei deutlicher denn je geworden: „Die Küche bleibt Mittelpunkt des Wohnens. Und gerade diese Tatsache führt dazu, dass sie immer weniger sichtbar wird.“

Möbeltechnik im individualisierte Design bei Arrital. Foto: Grass

An langen Tischen: bulthaup rückt die Kommunikation in den Mittelpunkt der Küche. Foto: Biermann

Offene Regalelemente bei Häcker. Foto: Grass

Geschlossene Regalelemente bei Häcker. Foto: Grass

Blick in den „Raum-in-Raum“-Kubus von Leicht Küchen. Foto: Grass

Nicht das Regal an sich sorgt für Individualität, sondern was der Nutzer daraus macht. Gesehen bei Stosa. Foto: Grass

Die Zukunft der Küche – ihre deutlichste Verkörperung war nach Meinung des österreichischen Unternehmens in diesem Jahr im Designviertel Brera zu sehen. In Brera hat sich abseits des traditionellen Messegeländes ein Ausstellungsareal etabliert, wo noch mehr Wert auf Design gelegt wird als auf der ohnehin schon stark vom Design geprägten Messe selbst. In Showrooms, Hinterhöfen und auf temporären Plattformen zeigen hier internationale Unternehmen ihre neuesten Entwicklungen. Darunter auch der Philosoph unter den Küchenherstellern: bulthaup residierte zum zweiten Mal in der ehemaligen Kirche San Carpoforo und setzte dort seinen Ansatz von 2016 fort. Allerdings noch deutlich konsequenter und radikaler. „Wie sieht die Zukunft der Küche in Zeiten von immer mehr Convenience aus?“ Das ist die Frage, die bulthaup mit seinen Entwürfen beantworten möchte. Dank Car2Go oder Uber sparen wir Fahrtzeiten, Amazon liefert uns Lebensmittel, andere Lieferdienste den heißen Deluxe-Burger mit Süßkartoffelchips. Was aber tun wir mit der gewonnenen Zeit? bulthaups These: Wir gewinnen Zeit, um uns auf das Wesentliche zu besinnen. Auf Wertschätzung nämlich. „Für die Zeit selbst, für die echten Dinge und wahren Momente im Leben.“ Die Küche als zentraler Ort der Kommunikation, Entschleunigung und Geselligkeit nimmt hier eine zentrale Rolle ein – und wie sie sich dafür verändert, konnte man in San Carpoforo studieren. Die neuen Entwürfe des bayrischen Edel-Herstellers sind kaum mehr als Küchen zu erkennen: Tische mit Schalen zum Kühlen oder Warmhalten von Speisen und Getränken werden durch multifunktionale und gleichzeitig dekorative Trennwände vom Arbeitsbereich getrennt, der, wenn er nicht benötigt wird, gleichermaßen „verschwindet“.

Transparenz und Natürlichkeit
Die opulenten Orient-Bezüge der letzten Eurocucina, die Monolithen, die massiven Arbeitsplatten sind kaum mehr zu sehen. „Zwei Worte fassen die zentralen Trends zusammen: Transparenz und Natürlichkeit“, sagt Harald Klüh, der Global Brand Manager von Grass. „Glas und offene Strukturen beherrschen das Bild. Was früher Schrank war, ist jetzt Regal. Gleichzeitig war es noch nie so grün in Mailand wie auf der diesjährigen Messe.“ Beide Trends sind das Ergebnis einer Entwicklung, die schon länger im Gange ist: dem Zusammenwachsen von Wohn- und Kochbereich. Für Leonardo Sani, den Export Sales Director von Stosa Cucine, hat diese Entwicklung wenig mit Moden zu tun: „Die Häuser werden kleiner, deswegen gehen Kochen und Wohnen zusammen – auch in Hinblick auf das Design.“ Bei Stosa Cucine schlägt sich dies ganz augenfällig nieder: Statt geschlossener Fronten zeigt der Küchenhersteller offene Regalstrukturen und viele Pflanzen. „Wir führen Strukturen, die nicht nur aus der Küche kommen“, erklärt Leonardo Sani dazu. „Die Kunden wollen nicht die Küche im Wohnbereich sehen, sondern den Wohnbereich in der Küche.“

Verborgene Technik ermöglicht radikale Möbelkonzepte
Damit bringt Sani das „Verschwinden“ auf den Punkt. Nicht die Küche verschwindet. Das Bild der Küche, das sich spätestens seit der Entwicklung der modernen Einbauküche kaum verändert hat, ist im Umbruch. Es lernt von der Gestaltung des Wohnbereichs. Es wird wohnlicher, behaglicher, erinnert weniger an Arbeit. Diese Transformation funktioniert nur durch ein harmonisches Miteinander von Design und Technik: Auf der einen Seite halten Wohnzimmermöbel-Elemente wie Bücherregale Einzug in der Küche und verändern den Charakter des Raums fundamental. Auf der anderen Seite sorgen Bewegungs-Systeme und Stauraumkonzepte dafür, dass die wohnliche Anmutung der Küche nicht durch technische Geräte oder funktionale Komponenten geschmälert wird.

Individualisierung mit Accessoires
Rund 50 Aussteller auf dem Salone del Mobile vertrauen, was das Innenleben betrifft, auf die Technologien des Unternehmens Grass. Das Spektrum reicht vom Badspezialisten Mobil Crab über die Holzkünstler von Toncelli bis hin zu deutschen Größen wie Häcker oder Leicht. Auch Arrital stattet seine Küchen mit Grass-Produkten aus. Arrital-CEO Mauro Giacomini erklärt die Transformation der Küche mit Gefühlen: „Früher hat man Küchen verkauft“, sagt er. „Heute verkauft man Emotion – und mit ihr die Küche.“
Emotion vermittelt auch der ungebrochene Trend zur Individualisierung, der mit der Wohnzimmer-Küche ausgezeichnet harmoniert: „Individualisierung findet nicht über das Produkt statt“, so Harald Klüh. „Sie findet über das statt, was die Leute sich ins Regal stellen. Sie nehmen gewissermaßen den Raum durch eigenen Content in Besitz.“ Zum Unterscheidungskriterium werden also nicht mehr die Möbel selbst, sondern die Accessoires. Regale mit den allgegenwärtigen vertikalen Strukturen, die sich auch in geschlossenen Oberflächen wiederfanden, sind ein ausgezeichnetes Mittel dafür, die eigene Person in Szene zu setzen. Ob man in seiner „Küche“ die Gesamtausgabe von Thomas Mann drapiert, Antiquitäten oder Trash-Artefakte – das Regal ist nicht viel mehr als sein Inhalt und über den Inhalt bestimmt der Besitzer.

Wenig Vernetzung, viel Grün
Interessanterweise spielte die vernetzte Küche in Mailand kaum eine Rolle. Unsere Welt ist kompliziert geworden – nicht nur, aber auch durch Technologie. Insofern überraschte das viele Grün und die matten Flächen nicht wirklich. Bei Valcucine zum Beispiel kam man sich beinahe vor, als sei man nicht in einer riesigen Industriehalle, sondern in der Natur. Enrico Zanetti von Valcucine weiß genau, warum das so ist: „Das Standdesign kommt dem Valcucine-Gründer Gabriele Centazzo, der auch die Küchen gestaltet, entgegen. Er liebt die Natur und lebt in einem Haus mitten im Wald. Dieses Gefühl möchte er, zumindest ansatzweise, auch für den Stand erreichen.“ Alle Elemente des Stands und der Küchen selbst sind wiederverwertbar. Und auch hinsichtlich der Gestaltung geht es um Wohlbefinden: zum Beispiel durch Lichtelemente. Das „Verschwinden“ ist auch bei Valcucine ein wichtiges Thema. Besonders bei dem neuen Element „Logica Celata“: Hier sorgt ein ausgeklügelter Mechanismus dafür, dass die Küche, sobald sie nicht mehr benötigt wird, hinter einer Tür verschwindet. Lautlos und mit einem Handgriff.

„Raum im Raum“
Dass die Küche einem fundamentalen Änderungsprozess unterliegt, ist für Grass nach dem Salone del Mobile 2018 nicht mehr zu übersehen. Bei Leicht Küchen ging man hinsichtlich der Verschmelzung von Wohnen und Kochen ebenfalls zielstrebig vor. Highlight war ein frei im Raum platzierbarer Kubus. Ein „Raum im Raum“, der umfassende Funktions- und Stauraumlösungen mit einem hohen Maß an Wohnlichkeit verbindet. Der begehbare Kubus bietet im Inneren viel Stauraum und kann als Speisekammer und Hauswirtschaftsraum genutzt werden. Äußerlich präsentiert sich der „Raum im Raum“ als ruhige Schrankfront, mit Regalelementen und einer in den Kubus eingelassenen Sitznische. Eine neue Schubladenorganisation sorgt wiederum dafür, dass alles, was an Arbeit erinnert, verschwunden ist, sobald Spaghetti Vongole und Chianti Classico auf dem Tisch stehen.
Bei Häcker Küchen sorgten Regal- und Schrankkomponenten dafür, dass die Küche aussah wie das Wohnzimmer. Der italienische Hersteller Scavolini zeigte sogar ein 1-Zimmer-Apartment, bei dem Küchen- und Schlafbereich bei Bedarf weggeklappt werden können.

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